Kremulator

Pjotr Nesterenko ist mit dem Tod auf vertrautem Fuß. Als Direktor des Moskauer Krematoriums in der Stalin-Zeit hat er sie alle eingeäschert: die Abweichler, die angeblichen Spione und die einstigen Revolutionshelden, die den Säuberungen zum Opfer fallen. Er jedoch, davon ist er überzeugt, kann gar nicht sterben. So oft ist er dem Tod schon knapp entronnen. Bis der Tag seiner eigenen Verhaftung kommt. Wird er auch diesmal den Hals aus der Schlinge ziehen?

Offizier der Weißen Armee, Hasardeur, Emigrant in Istanbul und Paris, Diener des Stalin-Systems, Techniker des Todes, Liebender – Pjotr Nesterenko war vieles in seinem abenteuerlichen Leben, das Sasha Filipenko in diesem schwarz funkelnden Roman erzählt. 1941 wird Pjotr Iljitsch Nesterenko, der Direktor des Moskauer Krematoriums, verhaftet. Er weiß wie kaum ein Zweiter, wer alles den stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen ist. Er weiß genau, was ihm droht. Und doch – so oft ist er dem Tod schon von der Schippe gesprungen, dass er überzeugt ist: Er ist unsterblich. Nun muss Nesterenko im Verhör Rede und Antwort stehen über sein verschlungenes Leben. Ein temporeiches Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Sasha Filipenko spielt virtuos mit historischen Dokumenten und Fiktion und erzählt eine aberwitzige, makabre und mitreißende Geschichte aus dem Innern eines Terrorstaats. Und, trotz allem, auch die Geschichte einer großen Liebe.

Sasha Filipenko bringt mich immer wieder zum Grübeln. Diesmal lernen wir Pjotr Nesterenko kennen. Er ist seines Zeichens der erste Direktor des ersten Moskauer Krematoriums. Er kennt also den Tod wirklich sehr gut. Er kennt auch die Henker des Staates, da er nachts die erschossenen Menschen verbrennen muss. Aber wir lernen ihn nicht als den „Kremulator“ kennen, sondern wir erleben ihn, als er gefangen genommen und wie ein Staatsfeind verhört wird.

Er wird von Perepeliza verhört und man lernt sehr schnell beide kennen, aber vor allem das Leben von Nesterenko. Man erfährt vieles über seinen Vater, aber auch über die Liebe zu seiner Vera, die er wirklich auf ein Podest gestellt hat, die ihn aber immer wieder versetzt.

Ich lernte mal wieder einiges, diesmal über die russische Revolution die Weiße und die Rote Armee, wo sich diese Armeen verschanzten und wie die Menschen geflüchtet sind, auch über die Krim in die Türkei. Dann reisen wir auch nach Serbien und Rumänien und landen später in Paris. Immer wieder versucht Nesterenko, sein Leben gut zu gestalten und hofft stets seiner Vera zu begegnen, wobei diese sich auch mit anderen Männern abgibt und er immer wieder ihrer Liebe hinterherläuft, oder sie sich auch nicht traut wirklich zu ihm zu stehen.

Die Verhöre sind irgendwie sehr unterschiedlich. Es ist mal mit Brutalität, mal eher so kleine Fallstricke, die ausgelegt werden. Man hat oft das Gefühl, man sammelt irgendwas, damit man das Urteil so begründen kann. Immer wieder wird behauptet, dass Nesterenko Spion für den Westen sei. Man unterstellt ihm, dass er kein wirklicher Russe sei. Er wird plötzlich mehrere Tage in Ruhe gelassen und dann geht es wieder weiter.

Man merkt, dass er von verschiedenen Menschen denunziert wurde und wie schnell das eigentlich geht, in einem totalitären Staat, der seine Bewohner bespitzelt und man sich seines Lebens nicht sicher sein kann, auch wenn man wie Pjotr Nesterenko recht weit oben in der Hierarchie steht, als Direktor der Moskauer Friedhöfe. Aber auch er ist ein Mensch, der andere denunziert hat, wie z.B. Russen in Paris, damit er auch als ehemaliger Offizier der weißen Armee wieder in die Sowjetunion einreisen darf, oder aus verletztem Stolz bei seiner Vera.

Es ist ein Roman, der mich sicherlich noch die ein oder andere Woche beschäftigen wird. Sasha Filipenko ist ein Autor, der mich fordert, der mir immer wieder zeigt, wie schlimm es ist, ständig aufzupassen, was man sagt und schreibt. Er beschreibt wie es vielleicht ist, wenn man nicht im richtigen Land ist oder nicht die richtige Stellung hat, in die man hinein geboren wurde. Im ersten Moment ist man vielleicht als Adliger auf einer höheren Stufe, aber im nächsten Moment kann man darunter leiden. Genauso wie man darunter leiden kann, wenn man einen Vater hat, dem man nichts recht machen kann, der seinen Sohn vielleicht lieber Tod sehen will, statt verletzt, was in seinen Augen nicht ehrenhaft ist. Sasha Filipenko nimmt einen bei diesen 250 Seiten einfach mit und selbst Stunden später stelle ich immer wieder fest, dass es viele Dinge gibt, über die ich nach dieser Lektüre nachdenke.

Der Roman bewegt einen, da er auf der einen Seite auch mal die Täter beleuchtet, die Henker sind, aber auch wie schnell man verletzt werden kann und wie schnell man dann jemanden denunziert, wenn man die Möglichkeit hat. Dieses Buch eignet sich, etwas über die russische Geschichte und das Selbstverständnis zu verstehen. Ich hatte auch oft das Gefühl, dass der Autor sicherlich froh ist, momentan in der Schweiz zu leben, aber auch, dass er doch auch sehr gerne zurück möchte.

Ich freue mich, auch wenn es sicherlich wieder schwer beim Lesen wird, auf das nächste Buch von Sasha Filipenko. Er hat so viel Gefühl für die Menschen in seinen Büchern und er warnt uns immer wieder, dass es wichtig ist, frei zu leben und dazu gehört nun mal auch unsere Demokratie. Auch wenn es darum in diesem Buch nicht geht, aber sie ist die Grundlage für unsere Freiheit und für unseren Rechtsstaat, dafür das wir nicht über alles nachdenken müssen, was wir sagen und schreiben.

Kremulator

Titel: Kremulator

Autor: Filipenko, Sasha
ISBN: 978-3-257-07239-6
Verlag: Diogenes Verlag
Preis: 25,00€
Erscheinungsdatum: 22. Februar 2023

Bei Bücher.de bestellen.
genialokal button 120x60 1 id15850
Bei Genialokal.de bestellen.
Bei Hugendubel.de bestellen.
Thalia
Bei Thalia.de bestellen.
logo knv size
Die Buchhandlung Freiheitsplatz.de unterstützen!
BuechergildeFFMkl
Die Büchergilde FFM unterstützen!
Teilen mit :

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert