stadttheater giessen c archiv 1

Es gibt Abende, da wünscht man sich, dass man pünktlich zur Einführung da ist. Diesmal war durch ein technisches Problem nicht möglich, pünktlich zu sein, weswegen ich leider einen großen Teil der Einführung verpasst habe. Also bin ich diesmal noch unvorbereiteter in das Konzert gegangen als sonst.

Gerade bei diesem Konzert wäre es wichtig gewesen, denn mit Andrea Tarrodi stand eine junge Komponistin auf dem Programm, die mir, und wahrscheinlich vielen anderen, unbekannt war, zudem war mit Mao Fujita ein begnadeter Pianist auf der Bühne. Ich hätte gerne auch noch ein wenig mehr über das Sinfonieorchester Frankfurt oder über die Dirigentin Dalia Stasevska erfahren, aber Dinge passieren und Punkt.

Das Haus war glaube ich bis auf den letzten Platz gefüllt und ich kann schon jetzt sagen, dass ich froh bin, dass ich da war. Einen Schmunzler hatte ich, als sich hinter mir ein Besucher fragte, wo unsere Flötistinnen sind und ja auch mir fehlten so ein paar der Musiker, die sonst auf der Bühne sitzen und mich begeistern. Es hat so etwas von einem Phantomschmerz oder so, wenn man bestimmte Künstler nicht sieht, die man sonst so sehr schätzt. Also ging es nicht nur mir so, sondern auch anderen Menschen im Theater. Eigentlich ein großes Lob für unsere Musiker in Gießen, dass man sie vermisst, wenn überregionale Orchester zu Gast sind. Sie brauchen wirklich keinen Vergleich scheuen.

Dieser Schmerz war aber sehr schnell verschwunden, als Dalia Stasevska auf die Bühne kam und den Taktstock hob. Es war recht schnell ein begeisterndes Verzücken in meinen Ohren festzustellen. Da waren die Glocken ganz zart und die Pauken mal zart, aber auch sehr gewaltig. Es war wirklich wie ein Spaziergang durch verschiedene Landschaften und ich fand, es waren auch verschiedene Wetterlagen zu hören.

Was mich bei diesem Stück besonders angerührt hat, war das Zusammenspiel der Trompete mit der Flöte. Soviel Zartheit in der Trompete und diese Antwort mit der Flöte, da ist auch jetzt noch Stunden später etwas, das eine Saite in mir zum Klingen bringt, die mich berührt. Liguria war eine Überraschung für mich, da ich mit der neuen Klassik doch oft nicht so viel anfangen kann, aber diese Komponistin, Andrea Tarrodi, werde ich mir merken. Sie wird bestimmt noch das ein oder andere Mal über meine Lautsprecher zu hören sein.

Wenn nicht im Klassikbereich, dann als Anki Svan, ihr Pseudonym mit dem sie als Singer/Songwriterin unterwegs ist. Dies ist ein Grund, weswegen ich nicht wie sonst meinen Text in der Nacht geschrieben habe, sondern erst am nächsten Tag. Ich wollte in aller Ruhe noch das Album von ihr als Anki Svan hören. Ich kann schon jetzt sagen, ich mag ihre Stimme und ihr Klavierspiel, welches ich auf dem Album gehört habe. Ich würde euch das Album „Sånger om hjärtat och psyket“ sehr ans Herz legen, da es genau wie ihre Komposition „Liguria“ so viel Gefühl aber auch Kraft hat, so dass ich mir wünsche, dass sie, egal in welchem Genre, ihren Weg geht. Ich finde, sie kann beides wirklich gut und bei Singer/Songwirtern kenne ich mich noch wesentlich besser aus, als im Klassikbereich. Ich glaube, es ging nicht nur mir so, dass die Darbietung von dem HR-Sinfonieorchester, ebenso wie die Komposition den Besuchern gefallen hat, denn es war doch ein sehr langanhaltender Applaus und ich behaupte, dies war mehr als verdient.

Komme ich nun zum Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488 von Wolfgang Amadeus Mozart und dem Pianisten Mao Fujita – ein gefeierter Star in der Szene und dies mit nur 26 Jahren. Er hat schon viele Konzerthäuser der Welt gesehen, wie die Carnegie-Hall in New York und das Wiener Konzerthaus, um nur zwei zu nennen. Und so jemand kommt ins Stadttheater Gießen! Das ist kaum zu glauben, aber ich kann sagen, es ist wahr.

Als er die Bühne betrat, kam er mir so klein und zerbrechlich vor, so schüchtern, dass ich ein wenig verwundert war, dies soll ein Star-Pianist sein? Hmm? Ich würde an ihm vorbeilaufen, so unscheinbar ist er. Mao Fujita geht ein wenig gebückt, so als wollte er nicht gesehen werden, dann setzte er sich an den Flügel. Die ersten Takte erklangen und dann setzte er mit seinem Klavierspiel ein und mit jeder Note, die er spielte, wurde er größer. Es war ein Lächeln zwischendrin zu sehen, wenn er teilweise komplett entrückt vor dem Flügel saß. Wenn er etwas länger Pause hatte, war auch zu merken, wie sehr es genoss, wie die anderen Musiker das Stück interpretierten. Er ist vollkommen in die Musik von Mozart aufgegangen und hat uns mit jeder Note, die er spielte umschmeichelt. Dass er viel Applaus bekam, versteht sich von selbst. Ich hätte gerne noch mehr Applaus spendiert, aber ich war nach seinem Vortrag noch zu sehr in dem gefangen was ich gehört habe. Das Stück welches er als Zugabe gegeben hat, kann ich mal wieder nicht benennen, aber auch dies war, als er Solo mit seinem Flügel unseren Ohren schmeichelte, einfach hervorragend.

Und so ging es dann auch in die Pause, in der ich mich erstmal ein wenig sammeln musste, wobei Heike und ich uns einig waren, die größte Überraschung war doch auch Andrea Tarrodi. Da war es wieder, das neue Frische und Melodische in der Klassik, weswegen ich auch immer wieder sage, probiert einfach auch mal was Neues aus.

Nach der Pause gab es Jean Sibelius mit seiner Sinfonie Nr. 5 Es-Dur Op. 82 und da war die Dirigentin Dalia Stasevska mitten in ihrem Element. Wie sie das Orchester forderte und auch sich selbst, war der helle Wahnsinn. Sie wollte immer mehr von jedem einzelnen Musiker, egal ob es lauter war, oder feiner. Ich glaube, bei Sibelius geht ihr Herz so richtig auf. Diesen Eindruck erweckt zumindest ihre Körpersprache im Dirigat. Ich denke, bei der Sinfonie Nr. 5 ist es noch etwas mehr und ja, diese Sinfonie ist so unwahrscheinlich schön, sie ist kraftvoll, aber auch fein. Ich glaube, dieses Zusammenspiel von der Dirigentin zusammen mit dem Sinfonieorchester wird da besonders hervorgehoben. Man spürt, dass sie vieles fordert und versucht, aus jedem Musiker das Letzte herauszuholen, aber auch sie lässt bei Sibelius alles auf ihrem Podium. Ich habe selten gesehen, dass ein Dirigent das Gefühl der Musik so intensiv verkörpert.

So bleibt mir die Frage, was hat mich an dem Abend am meisten angesprochen? War es die junge Komponistin? Oder doch Mao Fujita mit seinem Klavierspiel? Oder die Herzensangelegenheit der Dirigentin Dalia Stasevska?

Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht entscheiden. Ich kann und nur sagen, Herr Gott noch mal, wie schön war dieser Abend!?

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