Eugen Onegin

Russische Opern sind nun wirklich nicht mein Kerngebiet, aber das von Heike, die ein Auslandssemester in Kazan‘ verbracht hat und Eugen Onegin dort gesehen hatte. Ich bin da mal wieder komplett ohne Vorbereitung ins Stück, denn ich finde es immer wieder total spannend, etwas zum ersten Mal zu erleben und vollkommen unvoreingenommen ins Theater zu gehen.

Also ab ins Theater und meine erste Feststellung war, wir waren verdammt früh. Warum das passiert ist, keine Ahnung, aber so konnten wir die Menschen beim Reinkommen beobachten. Dabei ist uns aufgefallen, dass so viel Russisch sonst nicht im Theater gesprochen wird. Die Einführung machte diesmal Christian Förnzler. Ich hätte mich mehr über Ann-Christine Mecke gefreut, aber was soll ich sagen? Entweder lag es an der Stelle wo wir saßen, oder an der Technik oder an Herrn Förnzler selbst, der der da gestern etwas gemacht hat, wo ich sage JA, das könnte sein Stil sein. Ich bin ja von seinem Wissen schon seit längerem mehr als begeistert, aber manchmal redet er schneller, um dem Publikum möglichst viel Infos zu vermitteln, was dann in einem Leiern endet. Am Samstag jedoch war es ruhig und Informativ und, ja, warum sollten wir wegen eines Krieges Russland gegen die Ukraine auf russische Kultur verzichten? Ein Theater darf, oder sollte auch ruhig, solche Werke in sein Programm aufnehmen. Was kann Pjotr Tschaikowski für einen Spinner in der jetzigen Zeit, der von Moskau aus unbedingt Krieg führen will? Nichts!

Kultur aus dem Spielplan nehmen, weil ein Land eine Politik macht, die man nicht mag, beschneidet uns in unseren eigenen Möglichkeiten und wenn eine Oper auf Russisch ist, dann ist sie auf Russisch. Mit den Übertiteln kann man dies wunderbar verstehen. und meine Meinung dazu werde ich später noch einmal ausführen.

Eugen Onegin beginnt auf dem Land. Man sieht zuerst Tatjana, gespielt und gesungen von Julia Araújo, und Olga, die von Jana Marković gegeben wird. Wie diese beiden gleich am Anfang im Duett gesungen haben, war einfach wunderbar, wobei Jana Marković am Anfang ein wenig leiser war als Julia Araújo. Ich bin mir nicht 100% sicher, ob dies so sein sollte. Heike meint ja, das müsse so sein, aber ich bin mir da auch Stunden später noch nicht sicher. Aber da war mir klar, ich habe mich richtig entschieden und bin in dem Stück aufgegangen. Man schaut den beiden beim Lesen oder bei der Gartenarbeit zu, während die Mutter Larina, die Gutsbesitzerin, gesungen und gespielt von Monica Mascus, und Filipjewna, die von Judith Christ-Küchenmeister dargestellt wurde, das Erntedankfest vorbereiten. Ganz ehrlich, diese beiden dürfen gerne wieder nach Gießen kommen. Vor allem Judith Christ-Küchenmeister hat mich sehr angesprochen. Das lag vielleicht auch an der Rolle, denn die Amme war sehr sympathisch. Generell würde ich niemanden auf der Bühne wirklich schlecht reden wollen, denn ich bekomme noch immer leichte Gänsehaut, wenn ich an die einzelnen Gesangsdarbietungen denke. Wie Heike meinte kam die russische Seele (русская душа) mit jeder Silbe rüber.

Wo ich dann auch schon bei dem stimmgewaltigen Opern- und Extrachor bin. Mal ehrlich, was war das denn am Samstag? Dieser Chor war einfach wow! Ich bin ja in den letzten Aufführungen immer wieder begeistert gewesen, aber gestern da wurde noch mal eine Schippe drauf gelegt. Wie die Sänger und Sängerinnen gesungen bzw. geschauspielert haben, was war das denn? Da war noch kein Eugen Onegin oder Wladimir Lenski auf der Bühne und ich dachte das wird ein toller Abend!

Eugen Onegin wurde von Grga Peroš und Wladimir Lenski von Michael Ha gesungen. Mit Eugen Onegin wäre ich glaube ich nicht befreundet gewesen. Also über diese Person könnte ich mich nur aufregen. Das lag aber nicht an Grga Peroš, sondern an dem Charakter von Eugen Onegin. Da wird man eingeladen und feiert mit, und das erste was man macht ist die Freundin seines Freundes, nämlich Olga, angraben. Das geht gar nicht! Dass sich Tatjana in Eugen Onegin verliebt und eine Abfuhr erhält, ist eine andere Sache. Das kann immer mal passieren, und dass man deswegen vielleicht die ein oder andere Nacht nicht richtig schläft kennt wohl jeder von uns, der in seiner Jugend mal verliebt war. Und dass es nicht immer klappt, kennt auch jeder von uns. Über den Stil könnte man diskutieren, aber dies ist kein Problem, welches ich mit Eugen Onegin habe. Gut ich finde eine Frau, die ein Buch in der Hand hält immer sehr erotisch, da kann die Frau an haben was sie will. Ich schenke ihr sicher mehr als ein Blick im Bus oder Bahn.

Im zweiten Akt wird der Namenstag von Tatjana gefeiert und Eugen Onegin ist mal wieder zu Gast. Zusammen mit Wladimir Lenski erscheint er auf dem Fest und es wird ein wenig über ihn gelästert. Er benimmt sich wie ein verzogener Teenager und fängt an, mit Olga zu flirten. Ja, ich würde sicherlich auch mal mit Olga so nebenbei flirten, aber man macht dies nicht bei einem Freund! Das geht immer schief und hinterlässt nur verbrannte Erde. Ich konnte so richtig mitfühlen mit Lenski, wie dies von Michael Ha dargestellt wurde. Ich habe mich genau so gefühlt in dem Moment als Lenski als einziger im Regen stand, wie es Michael Ha gesungen und gespielt hat. Ich konnte das richtig fühlen, genauso wie ich den Schmerz bei Olga, Onegin oder Tatjana an bestimmten stellen in der Oper regelrecht gefühlt habe und dies obwohl ich gar nicht mehr wirklich auf die Übertitel geachtet habe. Hier merkt man deutlich, dass Musik alle Sprachbarrieren und Grenzen verschwinden lässt. Musik kommuniziert mit dem Herzen, der Seele.

Es gab während der Pause natürlich auch Stimmen, die mit dem Regen und dem Wasser nicht einverstanden waren, aber dies ist wie so oft immer wieder jedem selbst überlassen. Heike und ich waren uns in der Pause einig, dass es genau so richtig war, wie es dargestellt wurde, egal ob es das Bühnenbild oder die Kostüme waren es war richtig gut. Bei Tatjanas Szene erinnerte sich Heike an ein Werk aus dem russischen Sentimentalismus von Karamsin, wo die „Arme Lisa“ sich nach einer Affäre mit einem Adeligen im Weiher ertränkt. Ob diese Assoziation gewollt war ist eine andere Frage, aber es passt zu der tieftraurigen Passage von Tatjana.

Beim 3. Akt finden wir uns nach der Pause in der Heimatstadt von Eugen Onegin wieder und er ist mittlerweile vereinsamt, keine Familie, keine Freunde, da man ja unbedingt die Freundin des besten Freundes angraben musste und diesen dann schlussendlich beim Duell erschossen hat. Da habe ich wenig Mitleid mit diesem Menschen. Dass er Tatjana wiedersieht und sich in sie verliebt, diese mittlerweile aber mit Fürst Gremin verheiratet ist, der von Clark Ruth wie fast immer hervorragend gesungen wurde, und sie ihm dann einen Korb gibt, finde ich nur eine ausgleichende Gerechtigkeit.

Ich kenne es nun schon, dass es immer wieder zwischendrin leichten Applaus gab, manchmal ist es nicht einfach, die passende Stelle zu treffen, und nicht in das Stück hineinzuplatzen. Es ist aber auch jedes Mal schwierig, diesen Sängern und Sängerinnen keinen Applaus zu geben, denn wie jede Person auf der Bühne alles gibt und man immer wieder die Gefühle in der Stimme, Gestik und Mimik erkennen kann, ist einfach phänomenal. Da ist auch egal, ob es die Hauptdarsteller, Nebendarsteller oder der Chor, oder dem in meinen Augen herausragendem und noch gar nicht erwähnten, Orchester sind. Es wird immer mehr zu einem Gesamtkunstwerk, auch wenn Heike und ich uns nicht 100% einig waren, was das Bühnenbild im 3. Akt mit dem militärischen Festakt sein sollte, bzw. ob es richtig oder falsch ist, ob es nun ein großes normales Fest ist oder ein militärisches Fest ist. Ich fand die Darstellung gut. Heike war und ist der Meinung, das hätte man anders darstellen müssen. Für sie kam die Kälte von Tatjanas Abweisung in der kalten Szenerie nicht so gut kontrastiert rüber, wie bei einem harmonisch-plüschigen Ball. Wir sind uns aber beide einig, dass es gut war. Und wenn so etwas die einzige „Meinungsverschiedenheit“ ist bei einer Kulturveranstaltung, dann ist dies nicht viel. Eigentlich hat die Kunst hier ihren Zweck voll erfüllt. Sie hat gut unterhalten und Gedanken und Diskussion angeregt.

Dass das Ganze mit minutenlangen Standing Ovations endete, steht ja schon im Titel. Das hat dann ja auch aufgezeigt, dass es egal ist, ob der Komponist aus nun Russland kommt oder aus Italien, Deutschland oder sonst wo her. Wir sollten uns solcher Erlebnisse nicht berauben lassen, nur wegen dem was gerade politisch in einem Land passiert. Wenn man genauer hinschaut, bleiben nicht mehr viele Länder weltweit übrig, wo man von den Machthabern nichts Negatives erfährt und erlebt. Und dabei hat Musik so etwas Verbindendes, wobei es egal ist, welche Sprache gesungen wird. Wenn es so dargeboten wird wie im Stadttheater Gießen bei Eugen Onegin, dann beschreiten wir einen gemeinsamen Weg, der zu einem besseren Miteinander führen kann und wird.

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