[Konzert] Noten voller Leidenschaft: Das Neujahrskonzert lässt Herzen höher schlagen
Neujahrskonzert in Gießen ist für mich ja schon eine liebgewonnene Tradition. Diesmal ging es mit dem Orchester nach Frankreich. Zuerst stiegen wir in die Unterwelt mit Jacques Offenbach und der Ouvertüre zu „Orpheus in der Unterwelt“. Da fing es schon an, richtig toll zu werden. Wir alle kennen Teile davon, aber diesmal war es dann für mich irgendwie neu. Dieser Anfang, den habe ich so lange nicht mehr gehört.
Schon da beeindruckten insbesondere die Holzbläser mit einem sehr harmonischen Zusammenspiel. Insbesondere die Übergänge der Melodien von einer Stimme in die andere waren einfach perfekt. Ich glaube, das war verdammt nah an der Perfektion, zumal auch meine Kollegin Heike nur eine winzige Unsauberkeit im Ton bemängelt hat und sonst einfach nur hin und weg war.
Vladimir Yaskorski machte eine lockere Moderation zwischen den Stücken und spielte von Anfang an auch mit dem Publikum. Er erklärte etwas, und leitete gleich auf das nächste Stück von Jacques Offenbach über, in dem er auch etwas über den Komponisten erzählte. Auch wenn sich alles um Frankreich drehte, so stammte der Gute doch eigentlich aus Offenbach, lebte und wirkte allerdings in Frankreich. Weiterhin erklärte er auch, dass es bei „Ah! Quel diner je viens de faire“ um den Wein geht, dem eine Person zu sehr zugesprochen hat.
Und was soll ich sagen, die Mezzosopranistin Jana Marković kam auf die Bühne mit einer Flasche Wein und man nahm ihr die Betrunkene vollkommen ab. Natürlich hat sie in meinen Ohren trotzdem perfekt gesungen. Es war aber einfach auch nur schön, sie da vorne zu sehen. Schon während des Stückes gab es verhaltenes Glucksen, das sich am Ende in helles Gelächter verwandelte. Man wollte ja den Vortrag nicht stören, aber Jana Marković spielte die beschwipste Straßensängerin einfach perfekt! Da ist mir dann klargeworden, Opernsängerinnen müssen nicht nur gut singen können, nein, sie müssen auch Schauspielern. Egal ob man nun dem Französischem mächtig ist oder nicht, man hat die Sängerin zu 100% verstanden. Dazu die Musik, was will man den mehr?
Weiter ging es mit der Lucifer-Polka op. 266 von Johann Strauß Sohn und diese macht auch richtig viel Spaß. Eine Polka, die ich gerne mal mehr hören würde. So ging es wohl auch meiner Kollegin, da sie direkt googelte, ob es ein Arrangement für Blasorchester gibt.
Vladimir Yaskorski leitete direkt in die „Ah! Je ris de me voir“ – „Juwelenarie“ der Margarethe aus „Faust“ über. Dort gab dann Annika Gerhards ihr bestes. Ich habe ja oft Probleme mit Sopranistinnen, aber bei ihr und Julia Araújo finde ich etwas Besonderes in der Stimme, was nicht viele haben, weswegen ich das Musiktheater in Gießen immer wieder feiere. Ich hätte Annika Gerhards im Zusammenspiel mit dem Philharmonischen Orchester noch länger zuhören können. Dieses Stück hätte noch mal so lange dauern können. Ich hatte also schon gedacht, dass ich die Highlights des Gesangs schon alle erlebt habe, aber es kam noch was, nicht gleich aber bald.
„Danse macabre op. 40“ von Camille Saint-Saëns war auch etwas wirklich Besonderes. Die Geige unseres Konzertmeisters Ivan Krastev wurde auf einer Seite um einen halben Ton tiefer gestimmt, was sie ein wenig schief klingen ließ. Damit wurde das schreckliche des Todes, der diesen makabren Tanz anführt richtig greifbar. Hier muss ich mal etwas zum Konzertmeister sagen. Er wirkt immer völlig unbewegt, fast stoisch. Bei ihm denke ich oft er spielt die Noten perfekt, aber manchmal fehlt mir etwas Seele in seinem Spiel. Heute war es völlig anders als sonst. Ich habe erkannt, was man in ihm auch sehen kann. Bei diesem Stück war es besonders zu bemerken. Er schien mit sich vollkommen im reinen. Er ging regelrecht in der Musik auf. Es war nicht schmalzig oder so, sondern einfach mit soviel Seele und Gefühl, dass ich dachte, wow, gerne mehr davon.
Mit Herrn Offenbach hatten wir ja heute bereits das Vergnügen und nun folgte seine Barcarolle aus „Hoffmanns Erzählungen“. Das gesangliche Highlight war in dem Stück dieses Duett mit Annika Gerhards und Jana Marković. War was für ein Duett! Es ist ja oft so, dass eine Stimme oder das Orchester dominant hervortritt und ich habe nun heute noch einige dieser Barcarolle angehört, aber diese beiden Sängerinnen waren eine Stimme. Das war wie ein Organ. Ich habe nun den ganzen Abend etwas Vergleichbares gesucht, aber nichts gefunden. Bei diesem Stück war alles ein Klangkörper, egal ob nun Orchester oder Sängerinnen. Es war zumindest an meinem Platz perfekt ausgewogen. Ich hatte eine kleine Träne in den Augenwinkeln. Ich würde gerne jeden Musiker der dabei mitgespielt hat am liebsten umarmen.
Johann Strauß Sohn war dann auch noch mal Thema und zwar mit der Vergnügungszug-Polka op. 281, wobei die beiden Sängerinnen dann auch noch mal schnell Pfeife und Schaffnermütze rausgebracht und somit auch Vladimir Yaskorski den letzten Schliff gegeben haben. Danach ging es in die wohlverdiente Pause.
Im zweiten Teil kam einem das Frankreich-Thema spanisch vor, denn der Franzose Georges Bizet komponierte wohl das spanischste aller Musikstücke, obwohl er nie dort war. Es wurde ein Musiker aus Spanien befragt, ob für ihn „Carmen“ wirklich spanisch klingt, was er bestätigte. Es wurde darauf verwiesen, dass Teile auch von spanischen Volksweisen abstammen. So startete man mit „Chanson du Toréador“, weiter ging es beim Wachwechsel an der Zigarrenfabrik in Sevilla mit „La Garde Montante“ wo man auf Besonderheiten hingewiesen wurde. Im folgenden kleinen „Intermezzo“ brillierten Querflöte und Klarinette in einem perfekten Zusammenspielt. In das anfängliche Querflötensolo schleicht sich die Klarinette ein und es wird ein wunderbares Duett. Man lauscht quasi der Unterhaltung dieser beiden Instrumente zu der sich dann auch das Englisch Horn und die Oboe gesellen. Das Orchester umrahmt diese Solisten in einer perfekten Weichheit. Ich habe zwei Vermutungen: entweder die vier mögen sich einfach und üben das mit den Übergängen gemeinsam stundenlang, oder Vladimir Yaskorski ist so ein Perfektionist oder beides zusammen. Wer weiß das schon außer den Musikern, die mit ihm arbeiten. Zum Abschluss der Carmen Suiten gab es noch das flotte „Prélude & Aragonaise“. Wie wäre es mal, wenn man Carmen auch mal in Gießen aufführen würde? So richtig opulent mit Kulisse und Kostümen der Zeit? Ich hätte richtig Lust darauf. Es schien, als hätten die Musiker auch Lust darauf. Sie strahlten zumindest eine besondere Spielfreude aus.
Das spanische Feeling wurde dann aber noch mal etwas stärker mit Emmanuel Chabrier und seiner „España Rhapsodie“. Wäre da von hinten ein Stier herausgekommen und man hätte „Ole“ gerufen, ich hätte es einfach hingenommen. Es hatte für mich so das spanische Lebensgefühl transportiert, wie es sonst selten passiert. Wobei meine Kollegin Heike da noch etwas Anderes gefunden hat. Deutsche Sänger der 70er Jahre haben sich an einem Walzer von Waldteufel bedient, der wiederum erlaubter Weise Teile von Chabriers Werk verwendete.
„Boléro“ von Maurice Ravel ist auch so ein Klassiker, den jeder kennt. Er ist der einzige Komponist des Abends, der zeitweise in Spanien, oder besser im Baskenland, gelebt hat.
Vladimir Yaskorski erläuterte, dass dieses 17-minütige Stück eigentlich nur aus zwei Melodiefolgen besteht, die aus einem Pianissimo durch die einzelnen Instrumente wandern, bis sie in einem Fortissimo tutti zusammenlaufen. Die Abstimmung der Wechsel ist hier nicht zu unterschätzen, wie auch die nötige stoische Gelassenheit des Trommlers, der den immer gleichen Rhythmus spielt, welcher das Stück zusammenhält. Hier zeigte sich wieder das, was mich schon beim ersten Stück des Abends begeistert hat, die Harmonie zwischen den Instrumenten. Wobei spätestens bei den Zugaben habe ich manchmal gedacht, her je, wie schnell können sich diese Bögen bei den Streichern bewegen?
Mit jeder Faser strahlten die Musiker Spaß und Freude aus. Der ein oder andere ging so richtig ab. Herr Yaskorski glänzte auch mehrfach. Er kann moderieren, dirigieren, aber auch ein Theaterpublikum dazu bringen, zusammen zu klatschen und somit die Musiker auf der Bühne noch etwas mehr anzustacheln.
Ich kann jeden, der die nächsten beiden Termine wahrnehmen kann, nur beglückwünschen. Ihr werdet einen tollen Abend erleben mit einem Orchester und Sängerinnen, die wirklich alles geben. Dies ist in meinen Augen der richtige Weg ein neues Jahr zu beginnen, zusammen mit Menschen, die das was sie machen mit aller Hingabe und Liebe tun. Egal, ob es die Menschen auf der Bühne, hinter der Bühne, an der Kasse oder am Eingang, Theke oder was auch immer man zum Gelingen eines solchen Startes ins Jahr macht, danke für euer Herzblut, dass wir es genießen und erleben können. Auf ein tolles 2025 im Stadttheater Gießen!