Marmelade im Herzen

LITL615 [Podcast] Alzheimer, Angst und familiäre Bindungen – Ein Blick auf "Marmelade im Herzen" von Hilly Martinek

In dieser Episode befasse ich mich mit dem Buch „Marmelade im Herzen“ von Hilly Martinek, das nicht nur nach einem Film entstanden ist, sondern auch die komplexen Emotionen und Erfahrungen rund um das Thema Alzheimer behandelt. Tildas Leben wirkt auf den ersten Blick perfekt, doch innerlich wird sie von der Angst geplagt, die sie aus ihrer Kindheit kennt – die Angst, einen geliebten Menschen, in diesem Fall ihren Vater, an die gleiche Krankheit zu verlieren, die einst ihren Großvater betroffen hat.

Die Erzählung wechselt zwischen der Gegenwart und Tildas Erinnerungen an ihre Kindheit, die sie in Tagebüchern festgehalten hat. Diese Einschnitte eröffnen nicht nur einen Blick in ihre aufregende, aber auch schmerzhafte Vergangenheit, sondern zeigen auch, wie stark die Sorgen um ihre Familie ihren Alltag beeinflussen. Als Leser wird man dazu angeregt, über die Herausforderungen und den Umgang mit älteren Menschen und deren Erkrankungen nachzudenken. Observierungen aus Tildas Kindessee und aktuelle Herausforderungen mischen sich harmonisch, um eine tiefere emotionale Resonanz zu erzielen.

Das Buch wird als eine bewegende Erzählung beschrieben, die fernab von Klischees erfolgreich mit dem Thema Alzheimer umgeht. Tilda, die in ihren dreißigern steckt, ist ein Charakter, der Mut und Abenteuerlust ausstrahlt, aber auch die Verzweiflung, die mit der Pflege einer erkrankten Person einhergeht, darstellt. Die Dynamik zwischen ihr, ihrem spießigen Ehemann Philipp und ihrem Vater wird mit viel Feingefühl geschildert, was die Konflikte und Ängste auf berührende Weise verdeutlicht.

Empfehlenswert ist dieses Buch für alle, die eine Geschichte erleben möchten, die sowohl aufregend als auch emotional tiefgründig ist. Es ist wichtig, das Buch unabhängig vom Film zu lesen, um die Eigenständigkeit der Erzählung zu würdigen. Hilly Martinek hat ein Gespür für Worte und das Vermögen, Emotionen authentisch und ohne Übertreibung zu vermitteln. Während des Lesens tauchen Gedanken über meine eigene Familie und deren Herausforderungen auf, was die Erfahrungen von Tilda noch greifbarer macht.

„Marmelade im Herzen“, veröffentlicht im Penguin Verlag 2018, ist nicht nur eine bewegende Lektüre über Verlust und Liebe, sondern auch ein Aufruf zur Auseinandersetzung mit dem Thema Alzheimer aus einer persönlichen und emotionalen Perspektive. Es ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt und jederzeit zur Hand genommen werden kann, um die eigene Sicht auf ältere Menschen und deren Lebensrealitäten zu reflektieren.

Die Namen der Toten

LITL612 [Podcast] Zwischen Schuld und Sühne: Die düstere Tiefe von Sarah Baileys »Die Namen der Toten«

In dieser Episode bespreche ich das Buch »Die Namen der Toten« von Sarah Bailey, das mich auf mehrfacher Ebene tief berührt hat. Die Geschichte spielt in der kleinen Stadt Thunbridge Wells und folgt dem Detektiv Richard Vega, der mit den Geistern seiner Vergangenheit konfrontiert wird, als ein 15-Jähriger tot aufgefunden wird – genau an dem Ort, an dem er vor Jahren schon einmal einem ähnlichen Fall begegnete. Es wird schnell klar, dass sein erster Verdacht auf den Falschen fiel und die Schuld an den Opfern auf seinem Gewissen lastet, was den Erzählstrang umso spannender und emotionaler gestaltet.

Die Komplexität von Vegas persönlichem Leben, einschließlich seiner Affäre mit seiner Vorgesetzten Daria und der problematischen Beziehung zu seiner quasi-Tochter, die mit Drogen kämpft, verleiht der Erzählung eine spürbare Tiefe. Diese verschiedenen Stränge wecken in mir nicht nur Mitgefühl, sondern auch eine gewisse Verwunderung über die menschlichen Beziehungen, die in diesem Krimi dargestellt werden. Als jemand, der mit eigenen Herausforderungen zu kämpfen hatte, fiel es mir schwer, die Darstellung von Sucht und inneren Kämpfen zu ertragen, aber es ist genau diese Authentizität, die das Buch so lesenswert macht.

Besonders hervorheben möchte ich die geschickte Art, wie die Autorin das Grauen subtil andeutet. Anstatt brutale Details zu schildern, schafft sie es, mit wenigen Worten eine beklemmende Atmosphäre zu erzeugen, die mich als Leser am Rand meines Stuhls hielt. Die bildhaften Beschreibungen, wie Menschen in notvollen Situationen gefangen sind, erinnern mich an die Realität des modernen Sklavenhandels in Europa. Es ist erschütternd zu sehen, wie sich das Thema in die Handlung einfügt und zum Nachdenken anregt. Ich habe den Wunsch, dass diesem Buch mehr Aufmerksamkeit zuteilwird, damit auch andere die Augen für diese gesellschaftliche Problematik öffnen.

Trotz einiger Längen in der Erzählung und sich wiederholenden Themen, vor allem in Bezug auf die Beziehung zwischen Daria und Vega, ist der Krimi packend und emotional bewegend. Die vielschichtigen Charaktere, sowohl die Protagonisten als auch die Antagonisten, werden realistisch dargestellt. Es wird deutlich, dass es keine klaren Kategorien von Gut und Böse gibt, sondern dass jeder Mensch, selbst der brutalste Täter, auch seine menschlichen Facetten besitzt. Dies könnte die Verwirrung verstärken, die ich empfinde, wenn ich mich mit den Charakteren identifiziere, obwohl sie oft auf einer dunklen Seite stehen.

»Die Namen der Toten« wurde 2018 im Penguin-Verlag veröffentlicht und ist jetzt für 7,99 Euro als E-Book erhältlich. Diese Geschichte hat das Potenzial, eine längere Reihe zu inspirieren, und ich bin gespannt, welche Themen Sarah Bailey in zukünftigen Werken aufgreifen wird.

Schmutziger Schnee

LITL592 [Podcast] Rezension: Schmutziger Schnee - Christoffer Carlsson

Leo Juncker, ein Ermittler, der in Stockholm einen ermordeten Soziologen entdeckt, der Hinweise auf ein drohendes Attentat hatte, wird plötzlich vom Fall abgezogen und dem schwedischen Geheimdienst übergeben. Leo vermutet Manipulation und setzt alles daran, die Wahrheit zu enthüllen und das bevorstehende Attentat zu verhindern. Der zweite Band der Leo Junker Reihe, „Schmutziger Schnee“ von Christoffer Carlsson, entpuppt sich als fesselnde Fortsetzung. Die Geschichte um den Polizisten Leo Juncker, der auf Psychopharmaka angewiesen ist, führt die Leser in die politischen Strömungen Schwedens, darunter die radikalen Antifaschisten und die rechte Gruppierung schwedischer Widerstand. Der Autor zeigt die Grauzonen und Extreme beider Seiten, ohne Partei zu ergreifen. Als weitere Opfer in der linken Szene auftauchen, entfaltet sich ein gefährliches Netz aus ehemaligen Freunden und politischen Extremen. Die Einmischung der schwedischen Staatssicherheit wirft zusätzliche Fragen auf, da ihre eigenen Interessen möglicherweise über die Aufklärung des Falles hinausgehen.

Die polarisierenden Standpunkte und die Herausforderung, Extremismus in jeder Form zu bekämpfen, werden deutlich dargestellt. Die Komplexität der politischen Landschaft und die persönlichen Verflechtungen der Charaktere sorgen für eine spannungsgeladene Handlung. Die Unvoreingenommenheit des Autors und die feinen Schattierungen in der Darstellung machen den Roman zu einem fesselnden Leseerlebnis, das zum Nachdenken anregt. Die kritische Auseinandersetzung mit Extremismus und Vorurteilen zieht den Leser tief in die Geschichte hinein und lässt ihn mit einem breiteren Verständnis für die verschiedenen Strömungen zurück. „Schmutziger Schnee“ stellt die Komplexität der menschlichen Natur und die Gefahren von Extremismus eindringlich dar, während es die Leser dazu ermutigt, jenseits von Schwarz-Weiß-Denken zu reflektieren. Christoffer Carlsson gelingt es, die Nuancen der politischen Landschaft gekonnt einzufangen und durch seine differenzierte Herangehensweise eine eindringliche Botschaft zu vermitteln.

Stephan R. Meier

LITL583 [Podcast] Interview mit Stephan R. Meier über das Buch: 44 Tage - Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war

Herr Meier, der Autor des Buches „44 Tage, und Deutschland wird nie mehr so sein, wie es war“, erklärt, dass die Idee, über den deutschen Herbst zu schreiben, über Jahre gewachsen ist. Er musste jedoch große innere Widerstände überwinden, da er die Ereignisse hautnah miterlebt hat und es auch eine persönliche Verwicklung für ihn darstellt. Die damalige terroristische Bedrohung und die aktuelle Situation im Corona-Jahr wecken Parallelen, insbesondere bezüglich der Einschränkung von Grundrechten und dem diffusen Gefühl der Gefahr. Die Angst um den Rechtsstaat und die Grundwerte, die die RAF damals propagierte, hat sich auf verschiedene Weisen in der Gesellschaft manifestiert. Der Umgang mit Krisen und der Lernprozess der Politik sind zentrale Themen des Gesprächs. Dabei wird auch die Rolle des Verfassungsschutzes betont und die Herausforderung, über den eigenen Vater zu schreiben, reflektiert. Der Umgang mit der RAF-Krise wird im Kontext der damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse analysiert.

Die Fahndungspanne bezüglich des Aufenthaltsorts von Hans Martin Schleyer wird ausführlich diskutiert, ebenso wie die Bedeutung des Umgangs mit Informationen und die Entscheidungsfindung in Krisensituationen. Die Abläufe im Krisenstab und die Kommunikation mit politischen Gegnern wie Helmut Kohl werden beleuchtet. Eine zentrale Frage ist, wie politische Entscheidungsträger mit Machtfülle und unsicherer Lage umgehen. Die intensive Diskussion um die RAF und die Rolle der DDR in diesen Ereignissen runden das Gespräch ab. Der Dialog verdeutlicht die Komplexität und Tragweite politischer Entscheidungen in Krisenzeiten sowie die Herausforderungen, die sich aus extremistischen Bedrohungen ergeben. Die RAF und die Stasi hatten eine komplexe Beziehung, wobei die Stasi im Auftrag des KGB stand und politische und strategische Anweisungen umsetzte.

Die RAF-Rekruten waren oft idealistische Menschen, die sich für gesellschaftliche Veränderung einsetzen wollten, aber sich in den Untergrund begeben mussten. Viele mussten ihren moralischen Kompass abschalten und einer Art „Uniformdependenz“ folgen, um sich als Teil einer Armee zu fühlen. Die RAF nutzte militärischen Jargon und propagierte ihre Ziele geschickt, ähnlich wie extremistische Bewegungen heutzutage. Es wird betont, dass die RAF antisemitisch und rassistisch war, was oft nicht ausreichend in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Entführung der Landshut wurde als Wendepunkt angesehen, da die RAF nun unschuldige Menschen angegriffen hatte, was nicht ihren Zielen entsprach. Die Reaktion des Staates auf solche Aktionen war entscheidend, um nicht erpressbar zu werden.

Wir diskutieren über Themen wie die Notwendigkeit bestimmter Steuern, die Einflussnahme der Kirche und die Herausforderungen bei der Beseitigung von Gewohnheiten in der Politik. Wir tauschen Gedanken über die gefährliche Radikalisierung von Extremisten, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, aus. Wir sprechen über die Psychologie hinter Extremismus und Terrorismus, einschließlich der Rolle von Fantasiewelten und der Entkoppelung zur Realität. Wir erörtern die Bedeutung der Demokratie und wie Extremismus diese gefährden kann, sowie die Rolle von Nachrichtendiensten bei der vorausschauenden Erkennung von Bedrohungen.

Wir diskutieren die Verletzlichkeit unserer demokratischen Grundwerte und die Notwendigkeit, gegen extremistische Ideologien vorzugehen. Auch die Bedeutung von Bildung und Erziehung im Kampf gegen Radikalisierung wird beleuchtet. Wir tauschen Ansichten über die Wichtigkeit der Demokratie und die Rolle jedes Einzelnen bei der Wahrung ihrer Integrität aus. Wir reflektieren über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, die Bedeutung von Wissen und die Veränderungen in unserer Welt. Zum Abschluss sprechen wir über die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität in einer Welt, die von der Pandemie geprägt ist, und die Bedeutung des zwischenmenschlichen Kontakts für das persönliche Glück