LITL012 [Podcast] Zwangsadoption, Identität, Erinnerung – Ulla Mothes über 'Geteilte Träume'
Im Interview spricht Ulla Mothes, die Autorin des Buches „Geteilte Träume“, über die Entstehung und die tiefergehenden Themen ihres Werks. Mothes erklärt, dass sie mit dem Schreiben des Buches einen Auftrag erhalten hat, der sich auf eine Familiensaga mit einem DDR-Hintergrund konzentriert. Diese Entscheidung war verbunden mit der bevorstehenden Gedenkzeit zum 60. Jahrestag des Mauerbaus im Jahr 2021. Während der Zwangsadoption in der DDR als zentrales Thema fungiert, weist Mothes darauf hin, dass es ihr wichtiger war, historische Eckpunkte und gesellschaftliche Herausforderungen darzustellen, die oft weniger im Fokus stehen. So diskutiert sie unter anderem Persönlichkeiten wie Hilde Benjamin, die als Generalstaatsanwältin des DDR-Regimes harte Urteile fällte.
Ein zentrales Anliegen von Mothes ist es, die Frage nach der Familienidentität zu thematisieren, insbesondere durch die Figur Inke, die zufällig erfährt, dass sie zwangsadoptiert wurde. Inke steht vor der Herausforderung, ihre biologische Familie und deren Geschichte mit ihrer Adoptivfamilie in Einklang zu bringen. Mothes hebt hervor, dass in der DDR Entscheidungen oft nicht frei getroffen werden konnten und dass diese Umstände erhebliche Konsequenzen für die familiären Beziehungen hatten.
Die Komplexität der verschiedenen Handlungsstränge, die in der Erzählung ineinander verwoben sind, ist ein weiteres wichtiges Thema des Gesprächs. Mothes erklärt, dass sie sich anhand eines strukturierten Plots mit unterschiedlichen Familien und deren Geschichten befasst hat und hierbei eine Tabelle zur Veranschaulichung der Verbindungen erstellt hat. Es wird deutlich, dass die Geschichte von Inke und deren Adoptivfamilie sich nicht linear entfaltet, sondern vielschichtig und spannend aufgebaut ist, was die Leser in den Bann zieht.
Die Gesprächspartner erkunden auch die psychologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, die Menschen in der DDR bewegten, wie das Phänomen der individuellen Geschichten vorbeiziehen zu lassen und dabei die Schatten der Vergangenheit zu thematisieren. Ulla Mothes beschreibt, dass viele Menschen, die eine Ausreise in den Westen beantragten, von ihren Freunden und Bekannten gemieden wurden, da diese versuchten, sich selbst zu schützen, während ihre Implikationen im Leben in der DDR weitergingen.
Ein weiterer Fokus liegt auf der kritischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität in der DDR. Mothes thematisiert sowohl das gesellschaftliche Engagement der Menschen, die nach dem Krieg eine bessere Welt aufbauen wollten, als auch die Diktatur, welche diese Bestrebungen oft erdrosselte. Sie betont, dass zahlreiche Errungenschaften, wie die Gleichberechtigung und die sozialistischen Gedanken, in der DDR wertvoll waren, jedoch durch die Diktatur entwertet wurden.
Das Interview entdeckt weiterhin, wie Mothes in ihrem Buch ein differenziertes Bild des Lebens in der DDR präsentiert – mit all seinen Graustufen, positiven und negativen Aspekten. Sie legt dar, wie die kulturelle und soziale Infrastruktur der DDR für viele Menschen eine gute Lebensqualität bot, auch wenn die Diktatur in vielen Bereichen des Lebens Einschränkungen und Ängste verursachte.
Abschließend spricht Mothes über ihren nächsten Roman, der die Zeit nach der Wiedervereinigung thematisiert. Sie beleuchtet, wie die Wende für viele Menschen große Enttäuschungen mit sich brachte, und wie die Stimme des Ostens in der Nachberichterstattung weitgehend verschwand. Mothes erklärt, dass sie den Widerhall dieser Stimmen in ihrer kommenden Arbeit wieder aufgreifen möchte, um die komplexen Zusammenhänge der deutsch-deutschen Geschichte darzustellen.
Insgesamt gibt das Interview eindrücklich Einblicke in die Herausforderungen des Schreibens über die DDR, historische Nachwirkungen und den emotionalen Einfluss von Erinnerungen und Erzählungen auf die Identität und das Verständnis der deutschen Geschichte.