[Rezension] Bergbauern – Klaus Maria Einwanger
Klappentext:
Seit Jahrhunderten bewirtschaften ihre Familien kleine Höfe in den bayerischen Alpen und bewahren damit eine einzigartige Kultur- und Naturlandschaft. Über mehrere Jahre begleitete Fotograf Klaus Maria Einwanger die letzten Bergbauern. Sie stehen im Mittelpunkt seines neuen dokumentarischen Fotobuches mit dem gleichnamigen Titel. Atemberaubende Landschaften, einzigartige Einblicke und intime Momente inspirierten den international bekannten Fotografen Klaus Maria Einwanger zu seinem neuen Werk. Im Jahreskreis erleben wir Seite an Seite mit den Bergbauern ihren aufreibenden Arbeitsalltag, ihre Existenzsorgen, aber auch Glücksmomente mit Familie und Tieren. Bergbauern – die ästhetische Entdeckung einer wenig bekannten Welt, die doch so nahe liegt. Einwanger’s Bildband dokumentiert in der ihm eigenen Bildsprache die schleichende Veränderung einer traditionellen Landwirtschaftsform, die heute meist nur noch im Nebenerwerb möglich ist. Zu groß ist der Druck des Weltmarkts auf die Kleinbauern, die sich mit Tourismus, Holzwirtschaft und Obstanbau zusätzliche Einnahmen erschließen müssen, um zu überleben. Es ist Klaus Maria Einwangers Hommage an seine Heimat und zugleich ein Appell, Regionalität und Kleinbauerntum wieder wertschätzend in den Blick zu nehmen. Wir bedanken uns bei unserem Partner Bergader für die Unterstützung. Auf der Seite bergbauern-erleben.de finden sie weiter Visuelles und Infos zu diesem großartigen Projekt.
Rezension:
„Ein Bergbauer ist ein Landwirt im Gebirge.“
„Gekennzeichnet ist ein Bergbauernbetrieb durch den meist schwierigen bis nicht möglichen Einsatz von technischen Geräten aufgrund der Hanglage und -neigung. Außerdem ist die Bewirtschaftung durch extreme klimatische Bedingungen sowie schlechte Erreichbarkeit der Weiden und Äcker erschwert.“ [Quelle Wikipedia]
Nicht jeder darf sich Bergbauer nennen. In den EU-Richtlinien von 1980 ist geregelt, dass dies nur Landwirte dürfen, deren Weiden höher als 700 Meter über dem Meeresspiegel liegen und deren Weideflächen darüber hinaus zu mehr als 50 % eine Hangneigung von mehr als 18 % aufweisen.
Vor mir liegt der zweite Bildband von Klaus Maria Einwanger, „Bergbauern“, in dem er sich nach seinem ersten Buch „Taxidrivers – Written in their Faces“ erneut einer Berufsgruppe zugewandt und diese auf 286 Seiten eindrucksvoll mit seiner Kamera portraitiert hat.
Schon auf den ersten Blick in das Buch ist spürbar, wie intensiv und liebevoll sich der, vielfach international für seine herausragenden Arbeiten als Fotograf ausgezeichnete, Klaus Maria Einwanger mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Acht Betriebe, die durchweg in Familienhand geführt werden, hat er fotografisch durch die Jahreszeiten begleitet.
Bilder von unglaublicher Intensität, Dichte und Nähe zum Portraitierten oder der abgebildeten Szene lassen erkennen, dass sich der Fotograf über einen längeren Zeitraum mit einem hohen Maß an Einfühlungsvermögen mit den besonderen Gegebenheiten auseinandergesetzt hat, die das Leben und die Arbeit der Bergbauern mit sich bringt.
Seine Fotografien zeigen neben den Portraitierten im Wechsel immer wieder Passagen, die durchaus Dokumentationscharakter haben und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, man betrachte ein Familienfotoalbum.
Hierbei bleibt er seiner Darstellungsweise durchgängig treu und arbeitet stets mit dem vorhandenen Licht, hohen Kontrasten und einer insgesamt reduzierten Farbigkeit. Je nach Motiv setzt er gekonnt Schärfen, Unschärfen und farbige Akzente ein, um sein Bildaussage zu unterstreichen.
Dieser Bildband zeigt umfassend und atmosphärisch die gelebten Traditionen und den Arbeitsalltag der Bergbauern auf. Bergbauer ist nicht nur ein Beruf, vielmehr ist es Berufung. In den hier gezeigten Familienbetrieben beginnt das vielerorts bereits im Kinderwagen im Stall und endet auch nicht mit Eintritt des Rentenalters.
Erfahrungen und Traditionen werden von Generation zu Generation weitergegeben und jeder trägt im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Teil zum Gelingen bei. Die Fotos vermitteln unteranderem den Eindruck einer ungeahnten Nähe der Bergbauern zu ihrem Vieh. So tragen die Kühe individuelle Namen und werden liebevoll als Mädels, Damen oder Freundinnen bezeichnet. Ihr Wohlbefinden steht immer im Fokus der Bergbauern.
Eine spürbare Symbiose Mensch und Tier, gekennzeichnet von gegenseitigem Respekt, Fürsorge und Liebe, vermittelt den Eindruck, dass auch die Tiere mit ihrer individuellen Persönlichkeit Teil der Familie sind.
Neben den natürlichen Schwierigkeiten, durch die Natur und landschaftlichen Gegebenheit, die nicht immer den Einsatz moderner Technik möglich machen, gibt es zunehmend auch wirtschaftliche Belastungen und Zukunftssorgen. Eine Versorgung allein durch die Landwirtschaft ist durch die Kosten für Betriebsmittel oft nicht mehr realisierbar, eine kostendeckende Bewirtschaftung häufig schwierig.
Die Konkurrenzfähigkeit zu industrieller Milch- und Fleischwirtschaft ist durch niedrige Verkaufserlöse und hohe Erzeugerkosten für Milch und Fleisch problematisch, weil die Verkaufspreise durch den Weltmarkt und die internationalen Börsen bestimmt werden.
Artgerechter Tierhaltung und qualitativ hochwertige, gesunde und nachhaltig gewonnene Erzeugnisse können sich im Preiskampf leider nicht immer kostendeckend gegen die, in industrieller Herstellung gefertigten Produkte, durchsetzen.
Auch die Nutzung der Subventionen durch die EU ist durch engmaschige Vorschriften und bürokratische Erfordernisse erschwert. Nicht selten stehen dem zusätzlich der Stolz der Bergbauern und der Wunsch, von den eigenen Erzeugnissen leben zu können und nicht von Zuschüssen leben zu müssen, entgegen.
So gewinnen zunehmend auch der Tourismus, das Handwerk, die Holzwirtschaft sowie die Direktvermarktung eigener Erzeugnisse als weitere Einkommensquellen für die Familienbetriebe an Bedeutung.
Gleich zum Einstieg in das Buch beeindruckt das Portrait der Sennerin Steffi: Es wirkt ungestellt, wie ein im Gespräch entstandener Schnappschuss. Es zeigt eine ältere Frau in Arbeitskleidung im Querformat. Insgesamt ist es farbig reduziert, die portraitierte Sennerin ist sehr scharf und kontrastreich dargestellt, im Gegensatz zum Hintergrund, der sich in impressionistisch anmutender Unschärfe auflöst.
Hierdurch wird der Betrachter auf den Ausdruck und die Alterspuren im Gesicht der Sennerin gelenkt. Das Antlitz weist Spuren auf, die viel Lebensfreude, Humor und Zufriedenheit erahnen lassen. Es trägt einen beinahe mädchenhaft anmutenden, verschmitzten Ausdruck.
Suggeriert durch den, vom Betrachter abgewandten Blick aus dem Bild heraus könnte man meinen, der Fotograf hätte ihr ein Kompliment gemacht, über das sie sich sehr freut und ein bisschen geniert.
Im Hintergrund sieht man, durch die Unschärfe leicht stilisiert, die Landschaft und eine schlicht anmutende Almhütte, ihren Lebensraum. Das Bild wirkt authentisch und natürlich. Es lässt mich unwillkürlich lächeln und bleibt mir in Erinnerung.
Im Folgenden entsteht durch den Wechsel zwischen den sehr persönlichen und ausdrucksstarken Portraits eine Erzählung und Dokumentation über die Traditionen, Werte und den Arbeitsalltag der Bergbauern.
Auf Seite 16 und 17 beeindruckt ein Bild, das einen Einblick in den Kuhstall zum Inhalt hat. Es handelt sich um eine sehr schöne szenische Darstellung aus der Beobachterperspektive.
Durch die Unschärfe und Einbeziehung der im Vordergrund befindlichen Mauer auf der linken Seite wird die perspektivische Wirkung verstärkt und der Blick auf die auf der linken Seite arbeitende Bäuerin gelenkt, die kraftvoll das Heu verteilt. Auch die auf der Gegenseite beobachtenden und fressenden Kühe sowie die teilweise blau hervorgehobenen technischen Elemente, verstärken diesen szenischen Effekt zusätzlich.
Zusammen mit den kleineren Aufnahmen auf der Gegenseite der Doppelseite wirkt diese Anordnung insgesamt wie eine atmosphärische Dokumentation des Arbeitsalltages in einem Fotoalbum.
Starken Symbolcharakter hat für mich die Aufnahme auf der Seite 18 und 19 Ein Bild, das im Panoramaformat 4 Personen und einige Kühe zum Inhalt hat. Der Bildunterschrift ist zu entnehmen, es geht um das jährliche Ausstallen der Tiere.
Auf dem Bild sind die Personen alle dem Betrachter abgewandt. Es sind mutmaßlich drei Generationen, ein Kind, zwei Männer und eine Frau. Diese Personen sind alle der zentral abgebildeten Kuh zugewandt. Die Kuh ist die einzige, dem Betrachter zugewandte Protagonistin. Mit einem Auge nimmt sie Blickkontakt zum Fotografen auf und wird damit zum Hauptelement des Bildes.
Bei lediglich leicht reduzierter Farbigkeit und Schärfentiefe wird die Aufmerksamkeit des Betrachters, durch die Blick- und Gehrichtung der abgebildeten Personen perspektivisch zur Kuh hingeführt.
Hier spiegelt sich schön die Symbiose der Bergbauern und ihrer Tiere wider. Fürsorge und Vertrauen sind wunderschön in Szene gesetzt. Durch die Konzentration aller abgebildeten Personen auf die Kuh entsteht der Eindruck eines Familienverbundes, der das Tier miteinschließt.
Neben der ungeschminkten und authentischen Darstellung des Alltages der Bergbauern beinhaltet das Buch eine Reihe intensiver schwarzweiß Portraits aller Mitwirkenden in Tracht und eine Beschreibung der einzelnen Höfe und ihrer Philosophien.
Trotz des offensichtlich harten Arbeitsalltages und eventueller Zukunftssorgen, vermitteln alle hier abgebildeten Bauern, bzw. Familienmitglieder, einen Ausdruck der Lebensfreude, Zufriedenheit und des Stolzes.
Zitate und verbale Ausflüge in die Kulinarik runden den Gesamteindruck ab, den das Buch bei mir hinterlässt. Ich durfte bei dem Betrachten dieses Bildbandes gefühlt Urlaub auf dem Bauernhof machen und habe es sehr genossen.
Es hinterlässt bei mir den Eindruck eines Denkmals für die traditionelle Landwirtschaft und die Form des ursprünglichen Miteinanders von Menschen und Tieren in einem gemeinsamen natürlichen Lebensraum.
Ich wünsche mir, dass uns diese Form der Landwirtschaft noch lange erhalten bleibt.
Dieses Buch ist in jedem Fall zu empfehlen und wunderschön, es ist informativ sowie atmosphärisch und man darf gespannt sein, welche Bildbände wir eventuell in Zukunft von Klaus Maria Einwanger genießen dürfen.
Das Werk kommt als schwerer und hochwertiger festgebundener Bildband im Panoramaformat daher, ist auf mattem Papier und mit Ausnahme der schwarzweiß Portraits farbig gedruckt.
Es wurde darauf geachtet, dass größere Fotos nicht zu stark durch die mittige Buchnaht in ihrer Bildwirkung gestört wurden.
Titel: Bergbauern
Autor: Eiwanger, Karl Maria
ISBN: 978-3-00-078402-6
Verlag: KME GmbH
Preis: 48,00€
Erscheinungsdatum: 18. April 2024