[Theater] Zügellosigkeit, Musik und Melancholie: ‚Fabian oder Der Gang vor die Hunde‘ begeistert im Stadttheater Gießen
Stadttheater Gießen und eine Premiere im Schauspiel, und zwar „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, welches als Buch die Rekonstruktion von Fabian von Erich Kästner darstellt, welche 2013 im Atrium Verlag erschienen ist. Dies ist nur angemerkt, da der Atrium Verlag und ich unsere Zusammenarbeit demnächst verstärken werden.
So war es für mich ganz klar, dass ich sofort in dieses Stück muss. Die Einführung ins Stück machte diesmal Tim Kahn. Er erzählte auch aus dem Leben von Erich Kästner, wie z.B., dass er folgenden Satz gesagt hat: „Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende“. Dort sagte er auch, dass ein Großteil seiner Freunde im Krieg gefallen sind und deswegen seine Kindheit zu Ende war. 1933 als die Nazis an die Macht kamen, flüchtete er nicht ins Ausland, obwohl man ihn dort bestimmt sehr gerne aufgenommen hätte.
Dies sind Dinge, die man auch immer wieder in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ spürt. Deswegen hat Herr Kahn auch weniger über das Stück erzählt, sondern mehr über den Autoren. Ich glaube aber, dass es so oder so normal ist, dass das Umfeld und das Erlebte eines Autors ihn zumindest ein wenig beeinflussen.
Auch hob er hervor, dass das Team, welches für den „Staat gegen Fritz Bauer“ zuständig war, auch für dieses Stück verantwortlich ist und das merkt man schon ein wenig. Aber dazu gleich mehr.
Also ab ins Theater und was mir dann im Zuschauerraum mehr noch auffiel als bei der Einführung war, dass es eine gute Mischung zwischen Jung und Alt im Zuschauerraum gab.
Das Bühnenbild war mal wieder einfach, mit einer Rampe und einem überdimensionierten Rahmen. Aber schon in den ersten Minuten war klar, dass damit auch gespielt wird. Es gibt dann eine Treppe, die nach unten führt, die man vom Zuschauerraum nicht sieht und wo die Schauspieler dann wie bei einer U-Bahn nach unten gehen und wieder nach oben.
Was mir recht schnell auffiel, war die Zügellosigkeit, welche mich ein wenig an Babylon Berlin erinnerte. Es wird immer wieder mit dem Sexuellen gespielt, diese sexuelle Offenheit, für die die 20er Jahre ja auch ein wenig stehen.
Da gibt es ein Etablissement, in welchem man sich einen neuen Partner suchen kann, oder wo auch Paare Sex mit anderen haben können. Heute würde man sagen, es war ein Swingerclub. Dort reißt auch unsere Hauptperson Jakob Fabian, gespielt von Ben Janssen, Irene Moll auf, welche von Anne-Elise Minetti gespielt wird. Es ist eigentlich falsch, dass er sie aufgerissen hat. Die treibende Kraft ist Irene, die ihn auch gleich mal eben mit nach Hause schleppt. Wo sie dann auch prompt von ihrem Mann erwischt werden, der das aber vollkommen Ok findet und Jakob Fabian mal eben über ihre Ehe aufklärt. Moll wird von Carolin Weber gespielt und alleine bei dieser Szene dachte ich, wow, ganz schön mutig, so etwas auf die Bühne zu bringen.
Fabian ist Werbetexter bei einer Zigarettenfirma und kommt da auch immer wieder zu spät. Er ist aber ein so guter Werbetexter, dass man ihn erstmal behält. Der Direktor wird von Roman Kurz gespielt. Stephan Labude, der Freund von Fabian, wird von Levent Kelleli gespielt und dies ist schon ein besonderer Charakter. Während Fabian am Anfang etwas desillusioniert daher kommt, ist Labude eher der Visionär oder Macher. Dies ändert sich erst als Fabian Cornelia Battenberg, gespielt von Nina Plagens, kennenlernt und mit ihr zusammenkommt. Auf einmal zeigt er, dass er sich ändern will, auch etwas bewegen will. Das kenne ich auch von mir. Wenn ich verliebt bin, geht alles immer etwas flüssiger, einfacher, vonstatten und man denkt, alles klappt.
Dass Fabian gerade dann entlassen wird, als er mal nicht unpünktlich war und neue Ideen vorstellen wollte, geschenkt, das kennt jeder entweder aus seinen eigenen Erfahrungen oder aus Film und Fernsehen. Wenn es zu glattläuft, kommt irgendwann der große Hammer.
Ich könnte nun noch einiges erzählen, was noch alles passiert, aber man soll ja selber hereingehen. Aber warum sollte man in dieses Stück hineingehen?
Also da sind z.B. die verschiedenen Musikstücke, die jeder Schauspieler mal vorträgt. Und da sind neben den oben genannten Schauspielern auch Nils Eric Müller und Stephan Hirschpointner, wobei man Stephan Hirschpointner schon ein paarmal als Frau gesehen hat, aber Nils Eric Müller als Frau Sommer und mit einer tollen Stimme singend, hat mich etwas überrascht. Ich glaube es war bei „Woyzek“ wo er mich, was seinen Gesang betrifft, nicht so ganz überzeugt hatte.
Stephan Hirschpointner hat mir persönlich am besten gefallen, als er als Kommunist gesungen hat. Die beiden waren oft auf der Bühne, aber nicht in den tragenden Rollen. Roman Kurz hatte auch mehrere Rollen, die er aber wie immer hervorragend abgeliefert hat, genauso wie Anne-Elise Minetti oder Carolin Weber. Bei diesen drei letztgenannten ist es wie immer. Es ist einfach immer wieder ein Genuss.
Der Live-Musiker auf der Bühne, Marcel Rudert, war in meinen Augen immer wieder mit seinen Instrumenten auf den Punkt genau da. Das gab auch dank ihm und dem Gesang der einzelnen Schauspieler so Babylon Berlin Vibes in meinem Kopf. Das hatte sich sehr schnell in meinem Kopf ergeben, schon bei dem ersten Gesang von Nils Eric Müller.
Komme ich nun zu den drei, in meinen Augen, wichtigsten Personen. Levent Kelleli ist seit „Einsame Menschen“ in meinen Augen einfach ein Mensch, dem ich gerne zuhöre und den ich gerne sehe. Er hat dieser Figur einfach etwas Besonderes gegeben.
Ben Janssen als Fabian war nicht schlecht, aber irgendwie hat mir da ein wenig mehr Betonung oder Elan gefehlt, ein wenig mehr aus dem Quark kommen hat meine Oma dazu immer gesagt. Ein wenig mehr Feuer und das ist glaube ich auch das, weswegen man so ein wenig das Gefühl hatte, das es Längen hat.
Jetzt komme ich zu meiner persönlichen Überraschung des heutigen Stückes. Nina Plagens als Cornelia Battenberg, die Freundin von Fabian. Erste Entdeckung war, sie kann richtig gut singen. Dann hatte ich sie mal kurz getroffen und ein paar Sätze gewechselt und da hatte ich so das Gefühl, sie ist eigentlich tiefenentspannt und man könnte mit ihr auch bestimmt gut ein Bier oder so trinken. Das war aber nur so eine Momentaufnahme. Auf der Bühne war sie mir teilweise etwas zu hektisch. Das war mir im Nachgang nach der Kritik oft zu stressig, so ging es aber nicht nur mir, sondern auch einigen anderen in meinem Umfeld. Ich weiß nicht, was es war, oder warum, aber heute war sie außer, dass ihre Stimme ein wenig kräftiger werden könnte, richtig gut. Aber das war heute echt um Welten besser, als die letzten Aufführungen mit ihr.
Vielleicht liegt es am Stück oder der Regie, aber bitte macht weiter so, der Flummi war nicht zu merken, der mich immer wieder störte. Heute war das wirklich richtig gut.
Komme ich also zu meinem Fazit. „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ ist nicht ganz „Der Staat gegen Fritz Bauer“, aber wenn vielleicht die ein oder andere Betonung noch etwas genauer wird, dann denke ich, dann kann dieses Stück noch einige Aufführungen mehr vertragen, als die bis jetzt angekündigten.
Die Musik, der Gesang, das Thema, welches ich noch gar nicht richtig rausgearbeitet habe, sind sehenswert. Wer die Weimarer Republik in Gießen auf der Bühne erleben möchte, der sollte mal überlegen, da hineinzugehen, genauso wie man vielleicht als Geschichtskurs im Abi mal einen Blick darauf werfen sollte. Gründe gibt es also genug und deswegen auf ins Theater!