[Theater] Wölfinnen: Ein Brüllen nach Freiheit
Ich hatte ja nach der Roten Zora und ihre Bande das Verlangen, die Schauspielerinnen Noémie Ney und Anna Huberta Präg erneut zu sehen. Und wer mich kennt weiß, dass ich zum Schauspiel in den letzten Monaten eher sporadisch im Theater war. Diesmal also mal junges Theater im kleinen Haus bei uns in Gießen.
Meine erste Feststellung war, dass Mathilde Lehmann als Regisseurin sehr nervös war. Dies fällt einem im kleinen Haus wesentlich eher auf, da man sich ja doch sehr oft über die Füße läuft und sich sieht.
Abhinav Sawhney kenne ich auch als sehr zugewandten und offenen Menschen, aber bei eigenen Premieren merkt man auch ihm die Nervosität stark an und ja, ich kann dies sehr gut verstehen. Aber warum?
Diesmal gab es keine Einführung, aber meine Begleitung und ich hatten sehr interessante Gespräche über Kultur, Ausstellungen und Bücher und schon da war mir klar, jeder von uns dreien wird das Stück anders erleben. Es war auch zu merken, dass eine gute Stimmung im kleinen Haus herrschte.
Man geht runter ins Theater und es ist richtig gut voll. Ob es ausverkauft war, kann ich ehrlich nicht so sagen, aber es war voll. Vor einem steht ein „Wald“ und es erscheinen vier junge Frauen. Sie zelten und wie dies halt so ist, wenn man zeltet, eine Person erzählt eine Gespenstergeschichte oder halt das Märchen Rotkäppchen. Und wenn man die Originalversion von Grimms Märchen nimmt, ist sie alles – nur kein Kindermärchen. Da kann man schon eine Gruselgeschichte draus machen.
Noémie Ney und Anna Huberta Präg bringen dies auch wirklich gut rüber, wie man dies halt am Lagerfeuer so erzählt mit der Taschenlampe unter dem Kinn. Schon da war mir klar, dies wird heute wirklich gut.
Die Gespräche der vier im Schlafsack über ihren Traummann waren wirklich klasse. Man musste immer wieder herzhaft lachen, da sich die vier nicht einig wurden. Immer wieder kamen neue Attribute zu dem „Traummann“ dazu. Es muss ein Reiter sein, ein Schwimmer, aber kein Brustschwimmer. Er sollte ein Schloss haben und selbst Käse produzieren und noch einiges mehr.
Es geht immer wieder um das, was man will. Es geht um Revolutionen, Mut und Courage für sich selbst einzustehen.
Nie ist es ein Kampf zwischen Mann und Frau, sondern es ist einfach ein Mutmacher, dass man das ruhig sagen sollte, was man will. Die vier Schauspielerinnen bringen eine Power auf die kleine Bühne, die man einfach spüren möchte und spüren kann.
Zwischendurch stirbt Romeo auf seiner Julia. Ich könnte jetzt noch einfach laut lachen, wenn ich an den Romeo denke, wie er aus der Tür tritt. Ich würde ja gerne sagen, so einen Mann gibt es nicht, das ist zu überspitzt, aber auf der Rückfahrt im Bus habe ich genau so einen Typen erlebt.
Die Gesangseinlagen der vier sind einfach schön und aufeinander abgestimmt. Jasha Eliah Deppe und Dascha Ivanova passen perfekt in das Stück, egal ob dies im Gesang ist oder als Schauspielerinnen.
Alle vier sind keine Opfer. Sie sind einfach passend kraftvoll, klar in ihren Gedanken und dem was sie sagen. Sie sind in meinen Augen Menschen, die einfach sagen was sie wollen. Da ist man Superheldin, Rocky oder halt eine Wölfin. Sie sind alles, nur keine Opfer, aber auch nicht im anderen Extrem böse.
Man sieht immer wieder die Schauspielerinnen mit leichten Selbstzweifeln und Ängsten, aber auch mit einer Prise Humor und viel Kraft. Dazu einen Mann, der immer wieder zu spät kommt. Es ist aber auch zu sehen, wie man mit Ablehnung der eigenen Gefühle von jemand anderem umgehen kann. Sie haben mir aufgezeigt, wie man seine Wünsche auch vor anderen Menschen formuliert.
Mathilde Lehmann hat es geschafft, in siebzig Minuten alles Wichtige mit Humor und Ernsthaftigkeit auf die Bühne zu bekommen, ohne dass es langatmig ist oder gehetzt wirkt. Es ist auch vollkommen egal, ob man männlich oder weiblich oder divers ist. Man kann einfach etwas daraus ziehen. Auch ist kein ständig erhobener Zeigefinger zu sehen, was zum einen sicherlich an dem Stück selbst liegt, zum anderen aber auch an der Inszenierung im Stadttheater. Insgesamt kann man sagen, die vier Wölfinnen auf der Bühne sind einfach sehenswert. Meine Begleiter und ich waren uns einig, dass es bei diesem Stück kein „Ja, aber“ gibt. Es ist ein Stück, welches man sich gerne noch ein weiteres Mal ansehen kann und vielleicht auch sollte, wenn man die Chance oder die Zeit hat.
Wenn ich mir etwas wünschen darf dann, dass Jasha Eliah Deppe, Dascha Ivanova, Noémie Ney und Anna Huberta Präg noch häufiger auf der Bühne in Gießen auftreten. Diese Schauspielerinnen bringen so viel Witz, Charme und Power auf die Bühne, wie ich es mir nicht in meinen kühnsten Träumen habe vorstellen können. So können Wölfinnen auftreten und so sollte man sie auch in freier Wildbahn erleben. Diesen Mut würde ich mir von jedem Menschen wünschen, ohne dass er den anderen Menschen schlecht behandelt. Sehr gerne noch sehr viel mehr von so einem jungen Theater.