Claus Peymann

[Theater] Claus Peymann: Der unbeugsame Titan des deutschsprachigen Theaters ist Tot

Claus Peymann: Der Mann, der das Theater wieder streitbar machte

Claus Peymann: Der Unbeugsame des deutschsprachigen Theaters

Claus Peymann, geboren am 7. Juni 1937 in Bremen und gestorben am 16. Juli 2025 in Berlin-Köpenick, verkörpert in seiner Biografie zugleich das klangvolle Echo und die scharfe Kante der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Als Regisseur und Intendant, als Provokateur und Bewahrer klassischer Texte entwarf er ein Bild des Theaters, das jenseits des Glitzerpools von Effekten und Beliebigkeit bestand. Sein Lebenswerk erinnert daran, dass Theater immer öffentliche Verantwortung bedeutet, niemals reiner Selbstzweck.


Der junge Rebell aus Bremen

Schon in seinen frühen Jahren zeichnete sich bei Peymann ein Gespür für Kontraste ab. Der Sohn eines Studienrates studierte in Hamburg Germanistik und Theaterwissenschaften, während er sich parallel mit seiner ersten Regiepraxis am Studierendentheater auseinandersetzte. Diese doppelte Prägung verlieh ihm eine Haltung, die sowohl reflektiert als auch unerschrocken war. Er betrachtete das Theater nie als bloßen Unterhaltungskosmos, sondern als Forum, in dem Gesellschaftsbilder zertrümmert und neu zusammengesetzt werden.


Frankfurt und die Geburtsstunde der Provokation

Seine Festanstellung als Oberspielleiter am Theater am Turm in Frankfurt von 1966 bis 1969 markierte den Aufbruch in eine Ära der Provokationen. Hier inszenierte Peymann Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ und „Kaspar“ als programmatische Attacke auf das bürgerliche Verständnis von Theater. Die Bühne wurde zum Schlachtfeld für Sprach- und Deutungsgefechte, die bis heute nachhallen. Mit radikaler Einfachheit setzte er Zeichen: Worte genügen, um Mauern zum Einsturz zu bringen.

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Stuttgart und Bochum: Balanceakt zwischen Tradition und Aufruhr

In Stuttgart übernahm Peymann ab 1974 die Schauspielabteilung der Württembergischen Staatstheater und bewies, dass selbst Klassiker wie Schiller oder Goethe unter seiner Regie neue Dringlichkeit gewinnen konnten. Doch erst in Bochum von 1979 bis 1986 entfaltete er sein ganzes Spektrum: Uraufführungen zeitgenössischer Autoren trafen auf ambitionierte Klassiker-Inszenierungen. Mit seinem Team entwickelte er ein Haus, das gleichermaßen intellektuell forderte und sinnliche Erfahrung bot. Seine Bochumer Jahre zeigen den Balanceakt zwischen Respekt vor der Tradition und rebellischer Neugier.


Die Wiener Jahre: Heldenplatz als Theatergeschichte

1986 nahm Peymann den Ruf ans Burgtheater Wien an – eine „Königsetappe“, wie er sie nannte. In 13 Jahren leitete er die älteste deutschsprachige Bühne mit einem klaren Leitmotiv: Theater soll unbequeme Wahrheiten aussprechen. Die Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“ 1988 stürzte Österreich in eine Selbstreflexion, die über das Burgtheater hinauswirkte. Bücherregale voller Reaktionen und Debatten zeugen von jener Premiere, die mehr als ein Theaterereignis war, sondern ein politisches Erdbeben. In Wien manifestierte Peymann sein Credo, dass Kunst und Politik untrennbar sind.


Das Berliner Ensemble: Brechts Erbe im Zangenangriff

1999 kehrte Peymann nach Deutschland zurück, um das Berliner Ensemble zu leiten – das Haus, das Bertolt Brecht einst als Brutstätte für seine epische Theaterform prägte. Bis 2017 blieb er an dieser Bühne, an der er Brechts Texte mit der gleichen Drastik wie klassischen Stücken begegnete. Er inszenierte Brechts „Mutter Courage“ ebenso kompromisslos wie Shakespeare’sche Königsdramen. Seine Aufführungen wurden zur Herausforderung, da sie das Publikum nicht nur unterhalten, sondern ins Urteil zwingen wollten. Unter seiner Hand setzte das Ensemble einen Kontrapunkt gegen die wachsende Beliebigkeitskultur.


Inszenatorische Handschrift: Das Drama im Blick

Weniger war bei Peymann nie weniger, sondern stets mehr klarer Fokus. Seine Bühnenbilder waren sparsam, doch jeder Gegenstand fungierte wie ein Brennglas, um die Kraft der Sprache zu bündeln. Er entzog der Mode von Performance-Dramaturgie den Boden und kehrte zurück zu den Texten großer Dramatiker – von Shakespeare über Brecht bis zu zeitgenössischen Autoren wie Elfriede Jelinek. Zugleich scheute er nicht vor Uraufführungen zurück. So versteht sich Peymann als Wächter des Kanons und als Beschleuniger literarischer Innovation.


Kontroversen als künstlerische Strategie

Claus Peymanns Karriere ist durchzogen von Skandalen, die er nie als Makel, sondern als künstlerische Strategie betrachtete. 1977 löste seine Spendenaktion für RAF-Häftlinge Entrüstung aus, weil er Terrorismus als Symptom gesellschaftlicher Konflikte deutete. 2008 bot er dem verurteilten RAF-Terroristen Christian Klar ein Praktikum im Berliner Ensemble an, um das Theater als Ort der Resozialisierung zu erproben. Seine Solidarität mit umstrittenen Persönlichkeiten wie Peter Handke bewies, dass sein Theaterbegriff keine einfachen Antworten zuließ. Kontroversen waren für ihn keine Begleitmusik, sondern Bestandteil des szenischen Appells.


Spätes Schaffen und ungebrochene Leidenschaft

Auch nach seinem offiziellen Rückzug vom Intendantenamt 2017 blieb Peymann aktiv. Becketts „Warten auf Godot“ (2023) in Wien, Inszenierungen in Ingolstadt und Gastregien in München zeigen, dass das Theater für ihn bis zuletzt Lebenselixier war. In Interviews spiegelte er, dass jede Premiere wie ein letzter Atemzug wirkt – eine Generalprobe für den unausweichlichen Abschied. Seine späten Arbeiten zeichnen sich durch eine zarte Versöhnung mit dem Mythos des Alterns aus, ohne je die radikale Klarheit aufzugeben, die sein Werk auszeichnet.


Ein Erbe zwischen Widerstand und Tradition

Claus Peymann hinterlässt kein geschlossenes Monument, sondern ein offenes Archiv der Fragen: Wie viel Provokation verträgt eine Gesellschaft? Wie steht es um die Verantwortung des Theaters in Zeiten politischer Polarisierung? Sein Vermächtnis ist ein Aufruf, Bühnen nicht als Elfenbeintürme, sondern als Schaufenster gesellschaftlicher Kämpfe zu verstehen. Museen mögen den Staub der Vergangenheit atmen – Bühnen müssen die hitzige Luft der Gegenwart einziehen. Und so bleibt der unbeugsame Geist Peymanns im deutschsprachigen Theater lebendig: in hitzigen Debatten, in kühnen Premieren und im Rauschen eines Vorhangs, der niemals endgültig fällt.

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