Die Bibliothek im Nebel
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[Rezension] Die Bibliothek im Nebel – Kai Meyer

Klappentext: Eine atemberaubende Melange aus Familiensaga und Kriminalroman in der Welt der Bücher In seinem neuen Roman führt uns Bestseller-Autor Kai Meyer zurück in die Gassen der Bücherstadt Leipzig, in das verlorene Graphische Viertel und in ein Labyrinth aus Literatur und Schatten. Sankt Petersburg, 1917. Der junge Bibliothekar Artur flieht vor den Schergen der Revolution,…

Großes Sommertheater

LITL665 [Podcast] Großes Sommertheater: Wenn die Familie zur Bühne wird von Frank Goldammer

In dieser Episode bespreche ich das Buch »Großes Sommertheater« von Frank Goldammer, das ein packendes und humorvolles Familiendrama entfaltet. Der Klappentext gibt bereits einen ersten Eindruck von der Ausgangssituation: Patriarch Joseph, ein reicher, kranker Mann, lädt seine gesamte Familie an die Ostsee ein, um sicherzustellen, dass alle anwesend sind, während die Frage des Erbes auf dem Tisch liegt. Die sommerliche Idylle wird jedoch schnell von den Spannungen und Konflikten innerhalb der Familie überschattet, die durch alte Rivalitäten und den drängenden Wunsch, einen Teil des Vermögens zu sichern, angeheizt werden.

Die unterschiedlichen Charaktere kommen im Laufe der Handlung stärker zur Geltung. Die Söhne, Harald und Erwin, repräsentieren zwei gegensätzliche Lebenswege: der eine war bereits im Gefängnis, während der andere eine politische Karriere in Berlin verfolgt. Und das schwarze Schaf der Familie, Uwe, bringt mit seiner attraktiven Frau zusätzliche Komplikationen ins Spiel. Diese Konstellation verspricht nicht nur einen unterhaltsamen Familientrubel, sondern birgt auch ernsthafte Perspektiven auf die Themen Identität, soziale Unterschiede und die Herausforderungen, denen sich jeder Einzelne stellen muss.

Ein besonderer Fokus liegt auf den Kindern, insbesondere auf dem kleinen Tyrannen Rocco sowie den Teenagern Tom und Vanessa, deren schüchterne Interaktionen für zusätzliche humorvolle und gleichzeitig nachdenkliche Momente sorgen. Rocco, als jüngstes Mitglied, sorgt für unvorhersehbare Situationen, die die Dynamik in der Villa anheizen. Jedes Verhalten wird durch die hintergründigen Spannungen innerhalb der Familie beeinflusst, die nicht nur in familiären Feiern, sondern in jeder Interaktion sichtbar werden.

Frank Goldammer überrascht in diesem Buch mit einem rabenschwarzen Humor und einem unverblümten Blick auf menschliche Schwächen, was das Lesen zu einem eindrucksvollen Erlebnis macht. Seine Fähigkeit, in verschiedenen Genres zu schreiben und mit Themen zu experimentieren, macht »Großes Sommertheater« zu einem besonderen Lesevergnügen. Ich hoffe, dass auch ihr die Gelegenheit nutzt, diesen Roman zu entdecken, und damit verbunden, die verschiedenen Facetten von Goldammers Schreiben zu erkunden.

Gott wohnt im Wedding

LITL662 [Podcast] Zwischen den Mauern der Geschichte: Eintauchen in Regina Scheers Romanwelt "Gott wohnt im Wedding"

Im heutigen Podcast beschäftigen wir uns mit dem Buch „Gott wohnt im Wedding“ von Regina Scheer. Das Werk entfaltet sich um das Schicksal eines alten Hauses im Berliner Stadtteil Wedding, das über hundert Jahre Geschichte und die Lebensgeschichten seiner Bewohner erzählt. Die Protagonisten Leo, Nira, Leila und Gertrud sind Schlüsselfiguren innerhalb dieser Erzählung, deren Schicksale untrennbar mit der Geschichte des Hauses verbunden sind. Leo kehrt nach 70 Jahren aus Israel zurück nach Deutschland, um einige Erbangelegenheiten zu klären und seine Wurzeln zu erkunden. Er wird mit einer Vergangenheit konfrontiert, die ihn emotional sehr stark berührt.

Der Roman beginnt mit der eindringlichen Schilderung dieses maroden Hauses und seiner verdichteten Historie. Ea ist das Haus selbst fast wie ein Charakter, der die Geschichten seiner Bewohner erzählt. Man erfährt von Gertrud Romberg, die in dem Haus geboren wurde, und von Walter und Manfred, die ebenfalls eng mit der Geschichte des Hauses verwoben sind. Gertrud, die während des Krieges Leo und Manfred half, bildet eine Brücke zwischen den verschiedenen Epochen und ihren Herausforderungen. Wie diese Figuren individuell miteinander interagieren, wirft ein Licht auf die Gesamtgeschichte des Hauses und die sozialen Strukturen, die darin existieren.

Besonders hervorzuheben ist auch die Rolle von Leila, einer Sinti-Frau, die sich um die Gemeinschaft der Sinti und Roma im Haus kümmert und ihnen Unterstützung in einer oft feindlichen Gesellschaft bietet. Ihre Geschichte zeigt, wie die Herausforderungen dieser Bevölkerungsgruppe nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig relevant sind. Durch diesen Charakter wird das Buch zu einem tiefen Spiegel gesellschaftlicher Probleme, die das Thema Heimat und Zugehörigkeit betreffen – Fragen, die nicht nur für Sinti und Roma, sondern für viele Menschen in ähnlichen Situationen von Bedeutung sind.

Regina Scheers eindringlicher Schreibstil trägt dazu bei, die Bedürfnisse und Ängste ihrer Figuren spürbar zu machen, während sie auch auf die Probleme hinweist, mit denen insbesondere Minderheiten oft konfrontiert werden. Die Fragestellung nach Identität und Herkunft zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk. Warum sind bestimmte Gruppen in ihrer eigenen Heimat nicht sicher? Diese und weitere Fragen erforscht Scheer eindringlich und bereitet auf diese Weise den Boden für eine tiefere Reflexion über unsere Erinnerungskultur und deren gesellschaftliche Auswirkungen.

Die abschließende Diskussion trifft den Hörer auf emotionaler und intellektueller Ebene. Es wird klar, dass das Haus nicht nur ein Ort der Erinnerung ist, sondern auch ein Symbol für das Verlangen nach Halt und Sicherheit in einer sich ständig verändernden Welt. Das Ende des Buches sorgt für Nachdenklichkeit und erhebt gewichtige Fragen darüber, wie Geschichte, Identität und Gemeinschaft in unserem täglichen Leben verwoben sind.

„Gott wohnt im Wedding“, veröffentlicht im Jahr 2019, ist ein ebenso bewegendes wie tiefgründiges Werk, das die Zuhörer nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Die Betrachtungen über menschliche Schicksale und Beziehungen innerhalb eines historischen Kontextes machen dieses Buch zu einem unverzichtbaren Teil deutscher Literatur.

Der Verrat

LITL656 [Podcast] Am Zorn festhalten ist wie Gift trinken – Reflexionen zu Der Verrat von Ellen Sandberg

In der heutigen Episode widme ich mich der ausführlichen Rezension von *Der Verrat*, einem packenden Roman von Ellen Sandberg, der geradezu zum Nachdenken anregt. Der Klappentext zieht uns in die Welt eines Weinguts an der Saar, wo ein altes Verbrechen und unausgesprochene Schuld die Protagonisten lähmen. Nane, die nach zwanzig Jahren Haft entlassen wird, sieht sich sofort der drückenden Last ihrer Vergangenheit gegenüber und wird in ein Spannungsfeld zwischen ihr und ihrer Schwester Pia gezogen. Ein faszinierendes und herausforderndes Beziehungsgeflecht entfaltet sich, das sowohl Intrigen als auch Möglichkeiten zur Versöhnung enthält.

In meiner persönlichen Rezension reflektiere ich über die Charaktere und ihre Dynamiken. Zu Beginn hatte ich einige Schwierigkeiten, mich mit Pia anzufreunden. Ihre Kälte und das ständige Streben nach persönlichem Vorteil erinnerten mich an eine Eisbergmetapher, bei der wir nur die Spitze sehen, während der Großteil verborgen bleibt. Thomas, Pias Ehemann und erfolgsverwöhnter Winzer, erscheint als eine Figur, die von Pias Ambitionen geblendet wird. Hier sehe ich Parallelen zu meinen eigenen Erfahrungen in der Jugend, in denen ich mich oft ebenfalls naiv und auswählend in Beziehungen stürzte.

Nane, die etwas exzentrische Schwester, begeistert mich hingegen mit ihrer Energie und ihrem Bedürfnis nach Kontrolle – ein Tribut an die familiären Wurzeln. Die dritte Schwester, die als Vermittlerin zwischen den extremen Persönlichkeiten agiert, bringt eine weitere Ebene in das komplizierte Verhältnis. Die Hintergründe des Todes von Henning, der zum lebenslangen Urteil gegen Nane führten, erhöhen die Intensität und Komplexität des Geschehens. Pias Widerstand gegen Nanes Rückkehr in ihr Leben ist sowohl nachvollziehbar als auch tragisch, verstärkt durch die Tatsache, dass Nane einst die Ex-Partnerin ihres Mannes war.

Ein zentrales Thema wird im Roman klar: der Kampf um das Weingut. Pias ständige Erinnerungen an familiäre Verpflichtungen spiegeln eine tiefere Angst wider, die ihr Handeln und ihre Entscheidungen dominiert. Vergebung scheint für sie ein unerreichbarer Begriff zu sein. Durch Ellen Sandbergs feinsinnige Herangehensweise spürt man den unterschwelligen Zorn, der die Beziehungen vergiftet. Ein eindringlicher Satz eines Obdachlosen, den ich im Roman entdeckte, fasst dieses Gefühl brilliants zusammen: „Am Zorn festhalten ist wie Gift trinken und erwarten, dass der andere daran stirbt.” Diese Botschaft ist nicht nur für die fiktiven Charaktere relevant, sondern auch ein Appell an alle, die in unserer eigenen Realität durch ähnliche Konflikte gehen.

Das Buch ist gut geschrieben und obwohl es einige Längen hat, dienen diese dazu, die Charaktere näher zu beleuchten und sie nachvollziehbarer zu machen. Sandberg thematisiert auf intelligente Weise, wie negative Emotionen uns lenken können und lädt zum Reflektieren ein. *Der Verrat*, veröffentlicht im Penguin Verlag im Jahr 2018, ist ein Roman, der sowohl unterhaltsam als auch lehrreich ist und für 11 Euro in jeder Buchhandlung erhältlich ist. Es ist ein Werk, das viele wichtige Fragen aufwirft, während es uns in eine fesselnde Geschichte eintauchen lässt.