[Konzert] Maurice Ravel, Lili Boulanger und Camille Saint-Saëns: Ein musikalisches Feuerwerk in Gießen
Ich habe heute etwas erlebt, was ich mir nicht habe vorstellen können. Ich bin vollkommen abgehetzt in der St. Bonifatiuskirche angekommen. Normalerweise kann ich dann bei der Einführung ein wenig herunterkommen und mich langsam auf das Konzert einlassen. Das ist diesmal weggefallen, aber irgendwas hat so eine Kirche und besonders die St. Bonifatiuskirche in Gießen, das holt einen runter.
Das Konzert fing mit Maurice Ravels Pavane für eine verstorbene Prinzessin an. Man hört durchaus ein wenig den Schreittanz am Hofe eines Königs. Aber ich hatte auch ein weites Feld vor meinem inneren Auge, oder meine Begleitung einen Fluss mit Steinen oder Wälder. All dies erzeugten Maurice Ravel und das Philharmonischen Orchesters mit dem Stück. Ganz ehrlich, ich war in dem Moment vollkommen wie auf einer Wolke. Ich hätte dem Ganzen noch stundenlang zuhören können.
Pfarrer Erik Wehner führte uns nun in die Welt der Psalmen ein. Es gab da so einiges, was mir zugesagt hat, aber Psalmen und auch die Bibel sind so eine besondere Welt. Ich habe im Laufe meines Lebens die Erfahrung gemacht, dass man immer wieder tröstendes oder wissenswertes aus der Bibel ziehen kann. Vor allem aus den Psalmen, wobei der Psalm 130 mir nicht so geläufig ist.
Ich glaube, ich werde mich noch mal etwas genauer mit diesem Psalm auseinandersetzen. Lili Boulanger hat sich für ihr Stück „130. Psalm „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ intensiv damit auseinandergesetzt. Dieses Zusammenspiel zwischen dem Orchester und der Orgel war unglaublich. Mir fehlen die Worte! Dieser Klang, den die Orgel zusammen mit dem Orchester und der Kirche gebildet haben war unbeschreiblich. Ich bekomme an einer Tour gerade Gänsehaut.
Und da bin ich noch nicht mal auf diesen Chor eingegangen. Ja, ich liebe gute Chöre. Dieser Klang, den ein guter Chor erzeugen kann, ist etwas Besonderes. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Chor wirklich nahezu perfekt abgestimmt ist. Es war als wären das Orchester, Orgel und Chor ein gemeinsamer Klangkörper, der von Andreas Schüller zur Höchstleistung getrimmt wurde. Wenn sehr gute Musiker zusammen musizieren, dann kann da etwas ganz Besonderes entstehen.
Das Tüpfelchen auf dem i war dann Monika Schwabegger. Diese Altistin würde ich gerne noch mal in Gießen sehen und hören. Ich konnte nur noch die Augen schließen und genießen. Auch wie Frau Schwabegger mit dem Cellisten und dem ganzen Orchester zusammengearbeitet hat war in meinen Ohren, ich weiß wirklich nicht mehr wie ich es beschreiben soll. Gerade in diesem Miteinander fiel mir auf, dass die Orgel viel mehr ist als das, was ich sonst oft im Gottesdienst oder so höre und erlebe. Dies in der Verbindung mit Orchester, Chor und Solistin und wahrscheinlich einer vollkommen unterschätzten Komponistin ist unglaublich. Ich war da schon mit Gott, mir und der Welt vollkommen im Reinen.
Dabei stand ja noch ein weiteres Stück auf dem Plan und zwar von Camille Saint-Saëns. Die Sinfonie Nr. 3 c-Moll „Orgelsinfonie“ op. 78 war ohne Chor und Solistin, aber dafür mit der Eule-Orgel der Kirche in Verbindung mit dem Philharmonischen Orchester Gießen. Und was ich da erlebt habe, war etwas für mich vollkommen unbegreifliches. Ich war ja schon bei dem Zusammenspiel zwischen Orgel und Orchester bei: 130. Psalm „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ vollkommen hin und weg, aber das Zusammenspiel wurde da noch mal von dem Orchester und Michael Gilles an der Orgel auf die Spitze getrieben. Ich hatte immer wieder das Gefühl, die Orgel sitzt zwar über und hinter mir, aber sie ist ein Teil des Orchesters. Klar, zum Schluss haben beide, Orchester und Orgel, noch mal alles gegeben, aber ich habe so etwas noch nie gehört.
Ich weiß nicht, ob ich einfach den für mich perfekten Platz hatte, oder ob es daran lag, dass die Kirche bis zum letzten Platz gefüllt war. Es waren mal andere Instrumente als die Geigen während der zwei Stunden im Vordergrund, da waren die Bässe, Celli, das Blech und auch das Holz. Auch das Schlagwerk hatte seine besonderen Momente.
Der Chor, die Solistin und die Orgel haben mich besonders mitgenommen. Es sind so die besonderen Momente, in der es keine Einführung braucht, sondern man einfach nur noch genießen und schwelgen kann. Ich finde dieser Versuch, mal etwas anders zu machen und mal in die Kirchen zu gehen mit Orchester und Chor und einer Altistin, die gerne wieder nach Gießen kommen kann, war sehr gelungen.
Ich glaube, dass man diesen Abend in seiner Entwicklung am besten durch den Applaus erfassen kann. Nach dem Stück von Ravel war der Beifall noch sehr verhalten. Man hat gemerkt, dass es den Menschen gefallen hat. Aber da war es noch wie mit einer Handbremse. Ich glaube, man hätte gerne mehr oder lauter applaudiert.
Bei dem Stück von Lili Boulanger war der Applaus schon länger und auch lauter, aber irgendwie hatte auch ich das Gefühl, wie soll ich mich in einer Kirche bei so etwas verhalten? Was ist angemessen? Ich glaube im Stadttheater hätte man schon die ersten Rufe gehört.
Nach dem dritten Stück und dem Ende von Camille Saint-Saëns stand die komplette Kirche. Selbst da hatte ich das Gefühl, die Menschen würden gerne mehr aus sich herausgehen. Ich glaube, man hätte einfach auch mal aus sich rausgehen können. Die St. Bonifatiuskirche ist eine besondere Kirche in Gießen, mit einer besonderen Orgel und einer besonderen Akustik. So etwas kann ein wenig einschüchtern. Da fällt mir etwas ein, was Pfarrer Wehner gesagt hatte, dass man vor Gott ehrlich sein kann und soll (Ich hoffe, ich habe es Sinngemäß richtig wiedergegeben). Warum sollte man positive Gefühle in einer Kirche nicht rauslassen, solange man den anderen nicht belästigt oder Schaden zufügt?
Ein so positiver Abend wie diesen sollte man einfach gemeinsam genießen. Ich für meinen Teil bin dankbar, für dieses Erlebnis, welches mir so viel Kraft und positive Energie gegeben hat, wie ich es nicht erwartet habe!
Vielleicht ziehen Sie sich ja das nächste Mal genauso viel Positives bei einem Konzert, egal ob klassisch oder Chor oder auch mal bei einem Tanz, Theater oder anderen kulturellen Veranstaltungen im Stadttheater. Ich denke wir brauchen ein gutes Miteinander und ein gemeinsames Erleben, egal wann und wo.