Orchester

[Konzert] Wo Saiten reißen und Herzen schmelzen: Ein Abend im Stadttheater Gießen zwischen Kodály, Bartók und Sibelius

Es ging mal wieder in ein Sinfoniekonzert. Die Einführung machte diesmal Leonard Lampert. Er erzählte davon, dass Zoltán Kodály bei „Tänze aus Galanta“ auf der Suche nach dem Klang von Ungarn unterwegs war und sich bei den Sinti und Roma Inspiration geholt hat.

Béla Bartók war auch auf der Suche, aber wohl eher nach dem Klang der Liebe, denn er war wohl in die Geigerin Stefi Geyer verliebt. Wie dies nun mal so ist, wenn man als Musiker verliebt ist, dann widmet man der Person halt einen Song oder in diesem Fall ein komplettes Violinkonzert. Es wurde allerdings erst nach dem Tod von Stefi Geyer aufgeführt, wie das mit der unglücklichen Liebe so ist. Wer kennt das nicht?

Jean Sibelius war wohl, soweit wie ich das verstanden habe, nicht wirklich auf der Suche nach dem Klang von Finnland, das zu der Zeit gerade mal wieder Ärger mit Russland hatte, aber diese Note wurde von seinen Zeitgenossen so gesehen. Er hat eine Sinfonie komponiert, die wirklich schön kraftvoll ist und die ein wenig Finnland repräsentiert, zumindest bildet man sich dies ein.

Bei Herrn Lampert, ist mir aufgefallen, dass er doch sehr nervös war, aber er macht es wirklich nicht schlecht. Wenn er sich selbst weniger korrigieren und nicht so oft in der Zeile verrutschen würde, würde dies den wenigsten auffallen. Musik ist wie ein Gemälde und ist nun mal auch in den meisten Fällen malerisch schön. Einfach mal Augen zu und durch. Das wird schon. Ich erinnere mich zu gern an die Anfänge seines Vorgängers. Es ist doch vollkommen in Ordnung. Wir alle streben nach Perfektion, sind es aber alle nicht. Man kann sich immer verbessern, man kann sich aber auch selbst im Weg stehen. Herr Lampert, sie sind auf einem sehr guten Weg.

Komme ich nun zum eigentlichen Konzert. Da die Einführung ein wenig kürzer war als früher, stand ich auf einmal an. Die Türen waren noch nicht offen. Aber dadurch ist mir aufgefallen, dass es langsam mehr junge Leute sind, die in die Konzerte gehen. Dazu aber später noch etwas mehr.

„Tänze aus Galanta“ war das erste Stück von Zoltán Kodály und es war ein tolles Stück zur Eröffnung des Abends. Es startete mit der Klarinette von Anna Deyhle, dann wieder die Kombination mit der Flöte von Asia Safikhanova. Die beiden harmonieren immer so toll, dass ich mich in den Klang verlieben könnte. Was mir aber noch mehr imponiert hat, war das Zusammenspiel mit der Piccoloflöte. Das hat mich wirklich richtig abgeholt. Ich weiß nicht wer die Piccolo gespielt hat, aber das war einfach top. Wobei sowohl ich, als auch Heike nicht so viel Sinti und Roma gehört haben, wie wir es uns vielleicht bei der Einführung erhofft haben, aber toll war es trotzdem.

Komme ich nun zum eigentlichen Highlight des heutigen Abends: Nikita Boriso-Glebsky. Er war 2024 schon mal in Gießen und hat mich da schon begeistert. Wobei es ja auch immer wieder so ist, dass ich mir mit Violinkonzerten immer etwas schwerer tue. Ich mag eher die Viol. Vom Klang her find ich sie etwas wärmer. Aber ganz ehrlich, was die Musiker bei diesem Stück geliefert haben, war wirklich so, dass ich diese unerfüllte Liebe in der Musik hören und spüren konnte. Das lag auch an dem Spiel von Nikita Boriso-Glebsky, der wirklich jeden Ton im Zusammenspiel mit dem Orchester perfekt getroffen hat, bis ihm eine Saite gerissen ist. Ja das kann passieren, aber wie schnell ihm dann aus dem Orchester die Geige zur Verfügung gestellt wurde, war ein wirkliches Highlight. Dass er nach kurzer Zeit wieder vollkommen im Stück war, erstaunt mich sehr. Ja, ich weiß es kann immer mal passieren, dass das Instrument einen Schaden bekommt und so eine Saite reißt nun mal immer wieder gerne. Was mich aber in diesem Fall begeistert hat, war wie hilfsbereit die Musiker waren. Jeder Musiker liebt sein Instrument und es ist sein Augapfel, dennoch wurde ihm sofort ein Instrument gereicht. Bei dem Solisten heute war keine große Irritation zu spüren. Er hat nach einem kurzen Moment des Probierens einfach weitergemacht. Ich bin, wie ihr wisst, keine Fachkraft, aber irgendwie fand ich, dass diese Geige etwas wärmer geklungen hat als seine. Aber wie das nun mal so ist, es kann immer sein, dass der Klang je nach Sitzplatz und nach geschultem Gehör anders ist und jeder von uns hat bei Musik andere Empfindungen.

Das er dann auch noch eine Zugabe auf der Geige gegeben hat, war wirklich schön und ich hätte ihm auch gerne noch etwas länger zugehört. Wobei er erst eine andere Geige bei der Zugabe benutzen und sie noch schnell stimmen wollte. Doch dann hat er h wieder die Geige bekommen, die er vorher genutzt hatte. Neben der Musik einfach schön zu sehen, wie die Musiker mit so einer Situation umgehen und ganz ehrlich, man sollte sich einfach ein Beispiel daran nehmen und im Notfall einfach mal gemeinsam eine Runde lachen. So ist das Leben viel einfacher und schöner.

Während der Pause hat meine Sitznachbarin die gleiche Feststellung gemacht, wie ich vor dem Konzert: es waren sehr viele junge Menschen in dem Konzert. Diese Dame war etwas älter als ich und ihre Feststellung war, dass man nicht unbedingt nach Frankfurt muss, um gute Musik zu hören. Auch eine Feststellung, die ich schon oft gemacht habe, was aber nicht nur bei Konzerten zutrifft, sondern auch bei den anderen Sparten des Stadttheaters. Einfach mal ausprobieren und hingehen. Es tut nicht weh! Im Gegenteil, es ist wunderbar.

Einen Satz musste ich mir merken. Sie sagte, früher war jedes Konzert voller älterer Mumien. Das war nicht schön. Wenn junge Menschen ins Theater gehen und man egal wie alt man ist so etwas erlebt, dann wird man selbst auch viel jünger, auch wenn man schon älter ist. Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.

Komme ich nun zu Jean Sibelius und seiner Sinfonie Nr. 1. Wer mich kennt, weiß, dass ich immer wieder versuche andere Instrumente auch mal in Vordergrund zu schieben.

Dass mir heute zwei Instrumente aufgefallen sind, lag nicht daran, dass sie schief waren oder das sie sich nicht perfekt eingebunden haben, nein diesmal waren es die Oboe und das Fagott, welches mich vollkommen fasziniert hat. Es war für mich ein besonderes Erlebnis, da ich immer wieder auf diese Instrumente nicht so achte, aber gerade bei dem Stück von Sibelius war es so, dass mir jedes Mal aufgefallen ist, wenn eines der beiden oder beide zusammen so einen Teppich gelegt haben, auf dem sich die anderen bewegen und glänzen konnten. Es war dann vollkommen egal, ob es das Blech war oder Holz, die Geiger. Es war immer wieder schön anzuhören. Es hat mir wieder gezeigt, dass jedes Instrument wichtig ist, genauso wie die Harfe. Es geht dabei immer um Kleinigkeiten die es ausmachen.

Und mir fällt es immer wieder auf, dass es kleine Instrumente sind, die den Unterschied machen. Jedes Instrument ist wichtig, nicht nur die Geigen oder Cellos, Kontrabass oder was auch immer. Das Zusammenspiel macht es aus. Das ist der Klang, die Emotion, die wir immer wieder suchen. Es muss nicht immer perfekt sein. Manchmal kann es auch eine gerissene Saite sein, die den Abend perfekt und menschlich macht und genau aus solchen Gründen geht man in ein Konzert, Schauspiel, Oper oder Tanz das Menschliche und nicht immer Perfekte macht einen tollen und unvergesslichen Abend.

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