Dumme Jahre

[Theater] „Dumme Jahre“ in Gießen: Warum DDR-Geschichte kein reines Ost-Thema ist und dieses Stück uns alle fordert

Das letzte Mal 2025 ins Theater und es stand „Dumme Jahre“ auf dem Programm. Der Dramaturg Tim Kahn machte die Einführung. Er erzählte davon, wie das Stück entstanden ist und worum es in dem Stück auch geht.

Das Stück enthält viele Zeitsprünge in die 1968er Jahre oder 1981, auch mal in die 70er Jahre und dann in das hier und jetzt. Es wird gezeigt, wie sich die Familie um Wolfgang und Regine entwickelt. Tim Kahn setzt dies auch in der Einführung in den politischen Kontext. Etwas aus der Einführung blieb in mir richtig hängen, da dies in meinem Gespräch mit dem dunklen Parabelritter über sein Buch „Oststolz“ auch thematisiert wurde, dass DDR Themen immer im Osten bleiben, wobei sie die ganze Republik angehen. Dies fällt mir bei vielen Themen auf, auch bei dem Buch welches ich gerade lese – „Mauer Pogo“. Ist dies für einen Wessi wirklich ein reines Ossi-Thema? Dazu schreibe ich aber am Ende der Kritik noch etwas. Bei uns in Gießen sollte es kein Ossi Thema sein, denn wir haben unsere eigene Geschichte mit der DDR. Dies thematisierte Tim Kahn vortrefflich und macht auf den Erinnerungsort des Notaufnahmelagers Gießen aufmerksam. Wer es noch nicht wusste, hier war nach dem Mauerbau das zentrale Notaufnahmelager für DDR Flüchtlinge und nach der Wiedervereinigung noch für Spätaussiedler und Bürgerkriegsflüchtlinge aus ex-Jugoslawien. Ein Besuch des Erinnerungsortes ist wärmstens zu empfehlen

Doch nun zurück zum Stadttheater. Wie schon so oft höre ich Herrn Kahn sehr gerne zu, aber heute war er nicht ganz so flüssig, wie ich ihn sonst erlebe. Aber dies ist meckern auf hohen Niveau.

  • Dumme Jahre
    Copyright: Christian Schuller

Man startet im Stück „Dumme Jahre“ mit Regine und da hatte ich einen kleinen Hänger am Anfang. Irgendwie hatte ich nicht auf dem Schirm, dass Regine von drei Schauspielerinnen gespielt wird. Stina Jähngen war Regine im Teenageralter, Anne-Elise Minetti Regine im mittleren Alter und Carolin Weber als ältere Frau. Wie sich die Gedanken der drei gleich am Anfang ergänzten, war einfach gut. Ich war vor allem von Stina Jähngen überrasch. Ich hatte sie noch nie vorher in einem Stück gesehen und es war wirklich sehr angenehm, mit welcher Ruhe sie teilweise die junge Regine gespielt hat, ohne das Jugendliche zu vernachlässigen. Es war nicht hibbelig, sondern in meinen Augen und Ohren klar und präsent. Dieses Jugendliche hat sie aber auch dann gehabt, wenn sie alleine als Regine auf der Bühne war, vor allem als sie zusammen mit Joey Nashaa Scholl, der den jungen Teenager Wolfgang gespielt hat, als Teenagerpaar auf der Bühne war oder als sie erklärte, warum sie von Wolfgang enttäuscht war, als dieser einfach weggegangen ist, um Orgelbauer zu werden. Dies hatte sie nur durch den gemeinsamen Freund Matthias erfahren, den sie später wiedergetroffen hatten, als sie im Chemiewerk gearbeitet hat.

Regine ist im Übrigen im DDR Staat vollkommen aufgegangen. Sie war die Verantwortungsbewusste in der Beziehung und späteren Ehe mit Wolfgang ist. Diese bekommt aber irgendwann Risse und immer wieder ist von dem Tod von Matthias die Rede. Aber als dann die Wende kam, hat sie sich auch nicht verändern können. Auch wenn sie nach dem Selbstmord von Matthias, der auch von Joey Nashaa Scholl gespielt wurde, Zweifel an dem Staatskonstrukt der DDR bekommen hat, was Anne-Elise Minetti wirklich gut transportiert hat, konnte sie mit der BRD noch weniger anfangen.

Der ältere Wolfgang wurde von Roman Kurtz gespielt. Wolfgang hat nicht in die DDR gepasst und wollte etwas verändern, aber konnte es nicht. Er war in dem System gefangen. Er hatte die Transformation in den Westen viel besser geschafft als Regine. Was mich bei Wolfgang vollkommen gefordert hat, war sein Schauspiel als älterer dementer Mann. Er hat das so gut gespielt, dass es mich an daran erinnert hat, wie ich es bei meiner Oma erlebt hatte und dies habe ich damals, als sie stark dement war, nicht ausgehalten. Weswegen ich mich in den letzten Jahren im Seniorenheim mehr wie rar gemacht habe. Und genau das hat Roman Kurtz in seinem Spiel in mir wachgerufen. In dem Zusammenspiel mit Carolin Weber war das für mich fast ein Grund zu gehen. Die beiden bringen diese Liebe und Gefühle, die man in solchen Situationen hat, zumindest an dem Abend vollkommen rüber.

Dieses Stück hat mich 2,5 Stunden lang komplett gefordert. Und es hat mir gezeigt, wieso wir unsere Demokratie schützen sollten, denn ich frage mich immer wieder, möchte ich ein Matthias sein, der in so einer Diktatur vielleicht nicht zurechtkommt. Möchte ich ein Wolfgang sein, der etwas machen muss, was er nicht machen möchte. Möchte ich eine Regine sein, die, wenn sie einen Wimpel in die Pfütze schmeißt, als Kind Ärger in der Schule bekommt? Oder möchte ich eine Regine sein, die sich komplett dem System unterordnet, so dass sie nichts Anderes mehr kennenlernen möchte.

Ja, es war in der DDR nicht alles schlecht. Das ist es nie, aber ich möchte so frei wie möglich sein. Frei sein, die Musik zu hören, die ich mag, mit den Texten die ich liebe. Ich möchte über die Regierung schimpfen, ohne dass ich ins Gefängnis muss, oder wie Matthias in ein Umerziehungsheim. Ich möchte vieles, was es wert ist bewahrt zu werden.

Ich möchte aber auch, dass die Menschen ins Theater gehen, es erleben und aushalten. Als ich nun neben einer Schauspielerin aus Mannheim im Stadttheater Gießen saß und diese uns um unsere kleine Perle beneidet, dann sollten wir als Gießener dieses Theater jedes Mal stürmen, wenn es eine Premiere hat. Gut, das Thema heute ist für viele ein ostdeutsches Thema, aber es ist ein deutsches Thema. Es ist unsere Geschichte und die muss gehört werden, damit wir zusammenwachsen. Das geht nur, wenn man die Geschichte des einen Teils nicht vergisst oder verteufelt, sondern es gemeinsam thematisiert und nicht nur im Ostteil unserer Republik. Erlebt Wolfgang und Regine im Stadttheater Gießen, es fordert einen, aber wenn eine Schauspielerin aus Mannheim ein wenig eifersüchtig ist auf die Möglichkeiten und das Schauspiel in Gießen, dann kann man vielleicht auch sagen, dass unser Theater einiges zu bieten hat, auf das man Stolz sein kann und darf. Also, erlebt es und genießt die Themen, die es zu bieten hat.

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