Die Trümmerbeseitigung in Kassel

[Rezension] Die Trümmerbeseitigung in Kassel 1942-1955 – Helke Dreier, Kerstin Wolff, Archiv der deutschen Frauenbewegung (Hrsg.)

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Kassel erlebte zwischen 1940 und 1945 ca. 40 Luftangriffe, darunter den schwersten am 22. Oktober 1943. Diese Angriffe hinterließen Schutt- und Trümmerberge, die beseitigt werden mussten. Wie aber waren diese Trümmerbeseitigungsarbeiten organisiert und von wem wurden sie durchgeführt? Waren es städtische Bauarbeiter, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, die hier räumten? Oder waren es überwiegend Frauen, die – wie die Erzählungen über die Trümmerfrauen vermuten lassen – diese Aufbauarbeit leisteten? Auf der Grundlage von Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen sowie der Auswertung zeitgenössischer Quellen wird in diesem Band die Geschichte der Trümmerbeseitigung in Kassel nachgezeichnet.

Es gibt so ein Thema, welchem man als Gießener immer mal wieder begegnet. Wie war das mit der Trümmerräumung nach dem 2. Weltkrieg in Gießen und anderen Städten. Wurde da auch so vieles falsch gemacht wie in meiner Heimatstadt und wie ging das überhaupt vonstatten? Wie war das mit den Trümmerfrauen? Und wann ging es eigentlich los mit der Trümmerbeseitigung?

Was mir schon beim Titel auffiel war, dass es schon viel früher anfing mit der Beseitigung der Trümmer, nicht erst bei Kriegsende. Spannend war es dann zu lesen, wer die Trümmer denn im Krieg beseitigt hat und nein, es waren nicht der Ottonormal Bürger aus Kassel. Es waren die Menschen aus den KZs und Arbeitslagern, die die Trümmer während des Krieges beseitigten. Und auch der Wiederaufbau der Städte war von langer Hand von den Nazis geplant worden.

Ich hatte kurz den Eindruck, dass ihnen die Zerstörung der Städte vielleicht ganz recht war, damit man die Städte so bauen konnte, wie man es sich vorstellte. Durch solche Pläne war auch nach 1945 eine gewisse Kontinuität vorhanden.

Auch das Selbstverständnis des von den Amerikanern eingesetzten Oberbürgermeister Seidel in Kassel fand ich sehr spannend. Wie er, obwohl er keine Nazivergangenheit hatte, Menschen mit eben dieser Vergangenheit eingesetzt und verteidigt hat. Es war geradezu irritierend, wie oft der Wiederaufbau teilweise auf Verordnungen und Gesetzen der Nazis gefußt haben.

Das mit den Trümmerfrauen war mir auch sehr schnell klar. Ja es gab diese Frauen, aber der Ehrennotdienst in Kassel hat keine Geschlechter oder auch Stände gekannt, jeder musste ran ob er wollte oder nicht. Ausnahmen waren ehemalige KZ-Häftlinge oder Kranke, Kriegsversehrte, also Menschen, die so oder so keine körperlich schwere Arbeit leisten konnten, da sie gesundheitlich doch sehr angeschlagen waren. Ach ja, Frauen, die schwanger waren oder Kinder unter 10 Jahre hatten, waren auch ausgenommen.

Spannend war aber auch der Streit, wem eigentlich die Trümmer gehören, denn die waren wichtig. Es waren Baustoffe zum Wiederaufbau der Stadt. Diese Kontroversen, denen man sich in der Politik immer wieder stellte, waren sicherlich sehr herausfordernd für Städte und Gemeinden.

Beschrieben wird auch wie die Trümmerverwertung ablief, auch, dass es ein Bausteinwerk der Stadt Kassel gab. Auch Kontroversen mit den Amerikanern waren immer wieder Thema, wie zum Beispiel der Neuaufbau der städtischen Badeanstalten, oder die Probleme mit dem Abwasser.

Es ist ein anstrengendes Buch. Dies liegt zum einen am Thema, aber auch der teilweise sehr statischen Darstellung. Ich hätte mir gewünscht, dass man mehr Menschen zu Wort kommen lässt und einen vielleicht ein wenig mehr emotional packt. Immer wieder sind es Zahlen und Fakten, die wichtig sind und ja, es wird aufgezeigt, dass dies ein gesamtdeutsches Problem war.

Ich kam mir teilweise vor als würde ich mich durch einen Aktenberg arbeiten. Ja, es sind Archivdaten und die sind nun mal sehr statisch, aber ich hätte mir gewünscht, dass die Menschen die noch leben, und es werden immer weniger, mehr zu Wort kommen, nicht nur in kleinen Blasen am Rand der Seiten, sondern so, wie es mir mein Uropa erklärt hat. Er hat mich, wenn ich in Geschichte Probleme hatte, emotional gepackt. Er hat Daten ein Gesicht gegeben. Er sagte immer wieder, die Jüngeren müssen einfach nur fragen und zuhören, damit wir nicht vergessen. Zahlen und Fakten waren für ihn nur dazu da, um zu untermauern was er erlebt hat. Und genau das ist, was ich auch von diesem Buch erwartet habe. Auch wenn es wichtig ist, dass man, um die Probleme beim Wiederaufbau zu begreifen, die Zahlen kennen, aber wir brauchen auch die Menschen, Worte und Erfahrungen der Menschen, die da vielleicht Kind waren oder noch sehr jung. Es ist ein wichtiges Buch und es zeigt auch die damaligen Probleme auf, aber ich kam mir teilweise vor wie in einem Geschichtsbuch aus der Schule. Sie sind wichtig keine Frage und es ist gerade heute wichtig Fakten zu liefern, aber wir müssen schauen, dass wir die jüngere Generation erreichen, damit so etwas nicht wieder passiert. Da sind auch Emotionen gefragt.

Für Menschen, die sich für das Thema interessieren, ist es aber auf alle Fälle einen oder mehrere Blicke wert.

Kassel Truemmerfrauen

Titel: Die Trümmerbeseitigung in Kassel 1942-1955

Autor/In: Dreier, Helke & Wolff, Kerstin
ISBN: : 978-3-8313-3595-4
Verlag: Wartberg Verlag
Preis: 19,90 €
Erscheinungsdatum: 14. Juli 2024

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