Manchmal stell ich mir die Frage, was soll ich mit dieser Musik anstellen? Diesmal hat mich das Stadttheater in Gießen extrem gefordert und dies im positiven, wie im negativen Sinn. Aber mal von vorne.
Bernd Alois Zimmermann war ein Deutscher Komponist, der von 1918 – 1970 gelebt hat, und dessen Stück, welches gestern aufgeführt wurde, den Namen „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ trug.
Musikalisch gesehen muss ich sagen, ich hatte meine Probleme. Komponisten aus der musikalischen Avantgarde sind vielleicht nicht ganz mein Metier. Ich muss sagen, handwerklich alles toll, aber der Stil kann schon einige verschrecken. Mit den Dissonanzen zwischendurch und dem doch sehr zurückgenommenen Orchester, hatte ich schon so meine Schwierigkeiten, dies als Start in die neue Spielzeit zu sehen. Man muss einfach sagen, was Martin Bruns als Sänger geleistet hat, ist schon aller Ehren wert, Die Art, wie er gesungen hat, mit welcher Kraft und Hingabe und wie er oft die Worte gehalten hat, ich muss sagen, das hat mich beeindruckt. Ich habe so etwas eher in einer Oper oder so erwartet, als im Sinfoniekonzert im Stadttheater Gießen.
Auch die Sprecher Abdul M. Kunze und Sebastian Songin haben tolle Stimmen, die im Wechsel und auch zusammen sehr gut geklungen haben. Nun zu dem Problem, welches ich teilweise hatte. Es gab Sequenzen, in denen alle drei etwas gesagt bzw. gesungen haben und dies in einer Lautstärke, in der ich nichts verstehen konnte, dazu ein lautes Orchester, welches zwar die Stimmung und das Gesagte unterstrich, aber gerade in diesen kurzen Stücken war es mir einfach zu viel und ich wusste nicht, auf was ich mich konzentrieren sollte. Es wurde mir in den Momenten einfach zu hektisch auf der Bühne. Allerdings bin ich mir aber sicher, dass es vom Komponisten genau so gewollt war.
Wo ich gerade bei dem Komponisten bin, auch wenn ich kein Fan von ihm werden, sind einige Dinge in der Konzerteinführung doch interessant gewesen. Sie war diesmal wirklich wichtig und ich habe mich im Nachhinein etwas geärgert, dass ich sie nicht ganz mitbekommen habe. Es war auch wichtig für diese, wie es Bernd Alois Zimmermann nannte „Ekklesiastische Aktion“ welche wir hören durften. Ekklesiastisch kommt aus dem Griechischen und Kirchlichen und bedeutet das Herausgerufene. Dies trifft es dann doch sehr genau. Noch etwas zum Komponisten, der das Werk am 5. August 1970 beendet und sich am 10. August das leben genommen hatte, da seine nahende Erblindung das Komponieren wohl unmöglich gemacht hätte. Unter diesen Aspekten kann man vielleicht das ganze besser verstehen, aber es macht das ganze trotzdem nicht einfacher zu verdauen.
Deswegen waren außer mir noch andere im Publikum wohl froh über die Pause und der Applaus war doch eher verhalten. Während der Pause waren überall Diskussionen, wobei man sich nicht einig war, was man davon halten sollte. Einige wollten sogar schon gehen. Es war ihnen wohl zu viel. Wieder andere fanden es ganz toll. Ich finde es sehr mutig, so ein Stück als erstes in einer neuen Spielzeit zu wählen. Aber ich denke, dass man ruhig gelegentlich auch in einem Stadttheater mal etwas probieren kann und man sollte diesen Mut immer wieder aufbringen.
Kommen wir nun zu dem Stück nach der Pause – Ludwig van Beethoven und seine Sinfonie Nr. 3, die Eroica. So sehr das Stück davor einen gefordert hatte, so war die Eroica einfach nur zum Genießen und Zurücklehnen. Es war einfach nur angenehm, mit was für einem Elan und Feuer das Philharmonische Orchester zusammen mit dem Dirigenten Michael Hofstetter entwickelte. Irgendwie taten mir die Musiker, und vor allem der Dirigent, bei den Temperaturen nur leid, da ich selbst beim Sitzen nur geschwitzt habe. Wie es den Musikern auf der Bühne ging, konnte ich nur erahnen.
Der Dirigent und Generalmusikdirektor dirigierte an diesem Abend sein letztes Sinfoniekonzert in Gießen und er bekam einen tollen Abschluss. Wo der Applaus vor der Pause noch verhalten war, entbrannte er nach dem letzten Ton um so lauter und das Orchester, und vor allem Michael Hoffstetter, kamen nicht mehr von der Bühne runter. Sie bekamen Standing Ovations und dies Minuten lang, so dass sich Michael Hofstetter und das Philharmonische Orchester mit einer Zugabe verabschiedeten. Der Dirigent verabschiedete sich noch mit einem kleinen Schock fürs Publikum, nämlich mit der „Androhung“ noch etwas aus dem Stück von Zimmermann zu spielen. Letztlich entschied er sich aber doch für einen Part aus der Eroica.
So gingen wir alle doch sehr gelöst und mit gutem Gefühl aus dem Sinfoniekonzert nachhause. Im Nachhinein, nachdem ich drüber geschlafen habe und den Abend Revue passieren ließ, bin ich doch der Meinung, man sollte ab und zu mal das Publikum auch mit Komponisten wie eben jenem Bernd Alois Zimmermann fordern, wenn man gleichzeitig etwas wie Beethoven auch bringen kann. Ich finde die Mischung macht es. Man kann ja nicht immer das gleiche hören oder spielen, dass wird ja dann auch langweilig. Ich hoffe, dass wenn nun Michael Hoffstetter das Theater verlässt, man trotzdem diesen Mut beibehält. Ich wünsche es mir und ich wünsche es Gießen. Wobei man so oder so Gießen zu diesem Ort der Diskussion und Musik beglückwünschen kann und ich hoffe, dass dies auch so bleibt