[Rezension] Abendrot – Kent Haruf
Aus dem Amerikanischen von pociao
Holt, eine Kleinstadt im Herzen Colorados. Zwei alte Viehzüchter müssen den Wegzug ihrer Ziehtochter verkraften. Ein Ehepaar kämpft in seinem verwahrlosten Trailer um ein Stückchen Würde und um seine Kinder. Ein elfjähriger Junge kümmert sich rührend um seinen kranken Großvater. So hart das Schicksal auch zuschlägt – die Menschen in Holt sind entschlossen, dem Leben einen Sinn abzutrotzen. Und begegnen einander dabei neu.
Das Leben ist rau in Holt, Colorado. Es gehorcht den Rhythmen der Natur und den ungeschriebenen Gesetzen einer Kleinstadt. Hier kann man sich nicht aus dem Weg gehen, hier gibt es aber auch eine Gemeinschaft, die einen nicht im Stich lässt, wenn man einsam oder verzweifelt ist. Und jederzeit ist die Begegnung möglich, die alles verändert. Betty und Luther versuchen am Existenzminimum, ihre Familie zusammenzuhalten. DJ und Dena, elf Jahre alt, schaffen sich in einem verlassenen Haus ein Ersatzzuhause. Und die großartigen McPheron-Brüder samt ihrer Ziehtochter Victoria treten wieder auf. Kent Harufs Erzählkunst und seine Empathie für seine Figuren machen die Lektüre zu einem mitreißenden und beglückenden Erlebnis.
Rezension:
Es ist das Erste Mal, dass ich etwas von Kent Haruf lese. Noch Stunden später habe ich einen Kloß im Hals und würde gerne in dieses fiktive Städtchen Holt in Colorado reisen.
Man wandelt von Anfang an durch die Stadt, trifft auf die McPheron Brüder, die Victoria als Ziehtochter bei sich aufgenommen hatten und diese immer weiter Unterstützten.
Man lernt auch Betty und Luther kennen, die mit ihren beiden Kindern am Existenzminimum leben. Dann gibt es noch DJ und seinen Großvater, bei dem er wohnt und der sich wohl mehr als ein wenig in Dena verguggt hat. Dena ist die Tochter der Nachbarin, deren Mann in Alaska arbeitet und der sich im Laufe des Buches von Denas Mutter trennt. Die Trennung nimmt aber nur einen kleinen Teil in der Handlung ein. Sie ist nicht viel mehr als ein Nebensatz.
Die ersten leichten Tränen traten mir in die Augen, als einer der McPheron Brüder von einem Stier auf die Hörner genommen wurde und danach starb. Kent Haruf beschreibt es eindringlich, ohne zu viel zu übertreiben oder zu viel Pathos einfließen zu lassen. Es ist alles einfach nur menschlich was er beschreibt und wie er es beschreibt.
Viel härter trifft mich teilweise das Leben von Betty und Luther und deren beiden Töchter. Die Schilderung vom Einzug von Bettys Onkel Hoyt, und wie er sich in die „Erziehung“ der Kinder einmischt, bis sie grün und blau geschlagen sind und es in der Schule der aufmerksamen Lehrerin auffällt, waren sehr plastisch. Da kamen doch extreme Gefühle in mir hoch.
Es ist verdammt viel, was Kent Haruf alles in dem Buch aufgreift – Familienleben, Tod, Krankenhaus, aber auch Liebe und Zuneigung und ein Füreinander. Hat man sich erst ein wenig in Holt eingelebt, kann man das Buch immer schwerer aus der Hand legen. Man will einfach diese Dichte der Geschichte nur noch aufsaugen. Man hat immer wieder einen Kloß im Hals, oder leicht feuchte Augen. Es passiert immer wieder etwas, mal was Positives, mal was Negatives und immer mit einer Wärme und Intensität, wie ich es selten erlebt habe. Für mich ein besonderes Werk der amerikanischen Gegenwartsliteratur, vielleicht liegt es auch an der Übersetzung von pociao. Ich finde, die Übersetzung ist mit viel Gefühl gemacht worden und mit einer gewissen Wärme.
Solche Bücher, will ich öfter lesen. Schade das Kent Haruf schon gestorben ist. Ich hätte ihn gerne früher schon für mich entdeckt.
Verlag: Diogenes Verlag
ISBN: 978-3-257-07045-3