[Musical] Politik trifft Satire: Ein Broadway-Klassiker erobert die deutsche Bühne – Wintergreen for President! (Of thee I sing)
Ich habe ja in den letzten Jahren im Stadttheater Gießen einiges gesehen und erlebt, aber ein Musical? Nein, das habe ich noch nie vorher gesehen. Aber trösten sie sich, kein anderer hat dieses Musical aus dem Jahre 1931 in Deutschland gesehen. Denn es ist nach fast 100 Jahren eine deutsche Erstaufführung.
In diese deutsche Erstaufführung führte uns Ann-Christine Mecke und ich bin traurig, dass es die letzte Premiere war. Sie wird mir fehlen, denn sie geht zur neuen Spielzeit an die Staatsoper Hannover. Mir werden ihr Humor und dieses spitzbübische Grinsen wirklich fehlen.
Sie erklärte einiges zum Stück, also wie es entstand und welche Personen im Jahr 1931 wohl Pate standen, aber auch mit was für Problemen man jetzt zu kämpfen hatte, da war z.B. die Überlegung des Bühnenbildners, ob man sich als Russe über die Amerikaner überhaupt lustig machen darf. Wenn man sich während der Prohibition 1931 über den regierenden Bürgermeister von New York lustig machen durfte, der sogar bei der Premiere im Publikum saß, dann darf man sich doch auch heute über Amerika und Politik im Allgemeinen lustig machen. Aber dazu sage ich noch mal was zum Schluss.
Frau Mecke hat so viele Dinge angesprochen, die man sich bei der Einführung zum Stück unbedingt anhören sollte.
Komme ich nun zum eigentlichen Stück. Wenn ich diesmal nicht alle erwähne, liegt dies nicht daran, dass die Person schlecht war, sondern ist dem Fakt geschuldet, dass ich, auch wenn es ein Blog ist, nicht viel mehr als 3-4 DIN A4 Seiten schreiben will.
Als erstes steigt man mit der Ouvertüre ein und man sieht, wow, es wurde nicht gekleckert. Selbst beim Bühnenbild hat man richtig geklotzt, nicht nur bei den Personen auf der Bühne und deren Kostümen.
Man erlebt also wie John P. Wintergreen einschläft und als Präsidentschaftsbewerber wieder aufwacht. Da wird dann erst mal darüber nachgedacht, was denn das Programm für den Wahlkampf in den Vordergrund stellen soll. Schnell kommt man auf die Idee das Ganze auf Liebe auszurichten. Wobei ich die Idee, dass alles auf Liebe, Ehrlichkeit und ein gemeinsames Erleben und Bauen des Landes zu setzen, ein gutes Projekt in der Politik wäre. Um die richtige Frau für den Präsidentschaftskandidaten zu finden, wird ein Schönheitswettbewerb ausgerufen. Schnell wird klar, dass diese Frau nur ein hübsches Beiwerk sein soll und die Jury achtet nur auf die äußeren und nicht die inneren Werte.
John P. Wintergreen, der von Clark Ruth gespielt wird, lernt aber durch Zufall die Sekretärin des Schönheitswettbewerbs, Mary Turner, kennen, die von Maya Blaustein gespielt und gesungen wird. Er probiert ihren Kuchen, einen Karottenkuchen ohne Karotten, und verliebt sich deswegen in sie, anstatt in Diana Devereaux, einer wirklichen Schönheit aus dem Süden von Amerika. Izabella Radić gibt uns diese Person auf der Bühne. Bei der Schauspielerin ist mir bis jetzt immer das schöne ausdrucksstarke Gesicht in Erinnerung geblieben, aber was hat sie eigentlich für lange Beine? Die Stimme ist dazu noch echt umwerfend.
Wenn es nun Frauen gibt, die sagen, Männer würden immer nur auf das Aussehen schauen. Da halte ich nun dagegen, es gibt Männer, die Frauen mögen, die etwas im Kopf haben, gerne weggehen und die vielleicht auch noch Kochen und Backen können. So ein schöner Karottenkuchen hat schon was. Da kann ich John P. Wintergreen sehr gut verstehen. Aber auch das allein ist nicht alles. Das zeigt die feine Ironie des Stückes ebenso.
Ich komme nun zu den Senatoren und Ministern, die Wintergreen als Präsidenten unterstützen. Matthew Arnold Fulton erinnert mich teilweise an JD Vance, der momentan Vizepräsident in Amerika ist. Er wird von Nikolaus Nitzsche gespielt. Dann gibt es noch Francis X. Gilhooley, dargestellt von Ben Janssen, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er ein Werwolf ist oder eher der „Wolf of Wall Street“, der die Macht der Börse verkörpert. Louis Lippman kommt mir vor wie ein Tech-Nerd aus dem Silicon Valley und wird von Davíd Gaviria gespielt. Senator Carver Jones sieht aus wie eine Mischung aus Ronald McDonald und dem Joker und wird von Nils Eric Müller verkörpert. Nur so nebenbei: Nach dem Stück sind wir am McDonald’s vorbeigegangen. Obwohl wir Ronald den ganzen Abend über gesehen haben, wollten wir trotzdem nicht hineingehen. Wenn wir schon bei Fastfood sind, darf KFC nicht fehlen, schließlich ist der Colonel genauso ikonisch wie Ronald. In unserem Fall heißt der Colonel Senator Robert E. Lyons und wird von Lukas T. Goldbach gespielt.
Diese fünf Personen sind schon ein wenig oberflächig. Man erkennt dies schon alleine daran, wie sie mit dem Vizepräsidenten Alexander Throttlebottom, gespielt von Tomi Wendt, umgehen. Wenn er auf die Bühne kommt, muss ich schon fast automatisch anfangen zu lachen oder zu grinsen. Diese Komik, die dabei ausgestrahlt wird einfach genial. Der Name ist übrigens Programm. Er bezeichnet im amerikanischen Englisch eine harmlose, unfähige und nichtsnutzige Person im öffentlichen Amt. Ich denke, jeder Zuschauer hat da so spontan eigene Assoziationen, wenn er die Figur sieht.
Komme ich nun zu Sam Jenkins und Miss Benson, die von Tim Stolberg und Anne-Elise Minetti gespielt bzw. getanzt werden. Was die beiden für einen Stepptanz und Tanz anbieten macht richtig Spaß.
Levent Kelleli hat im zweiten Akt eine tragende Rolle. Da John P. Wintergreen ja seine Mary Turner geheiratet hat und Diana Devereaux sich dies nicht gefallen lies, da sie ja den Wettbewerb gewonnen hatte und sie First Lady sein will, wird dieses Ganze zu einer zu einem internationalen Problem. Diana Devereaux will ihr Recht einklagen und da sie Französin ist schaltet sich auch der französische Botschafter ein und dieser ist Levent Kelleli. Diana ist immerhin die illegitime Tochter eines illegitimen Sohns eines legitimen Neffen von Napoleon persönlich. Bei diesem Stammbaum muss sich doch der Staat einschalten, oder?
Ich könnte nun noch so einiges schreiben, was mir aber aufgefallen ist, waren die Kleinigkeiten. Achten sie mal auf die Frau im rosa Kostüm. Sie hat einen Stoffhund auf dem Arm, der auch singt. Es gibt auch Anleihen vom Stummfilm, die man auf der Bühne sehen kann. Die Raumteiler sind immer wieder geschickte auf der Bühne platziert, so dass man sofort sieht, wo man gerade ist, ob nun im Weißen Haus, Schlafzimmer oder wo auch immer das Stück gerade spielt.
Man spürt sofort, dass wieder auf Kleinigkeiten wert gelegt wurde. Das Stück von 1931 ist ins Hier und Jetzt verschoben worden, ohne dass es gekünstelt wirkt. Die Schauspieler haben wirklich eine tolle Leistung gebracht und ist es egal, ob sie nun aus Tanzbereich, Schauspiel oder Musiktheater kommen, sie haben alle eine tolle Leistung abgerufen. Es wurde immer wieder auf die momentane Politik Bezug genommen ohne das Stück zu verfälschen.
Dazu die Musik und Gesangstexte von George und Ira Gershwin waren ein Genuss. Einige der Gesangsstücke kannte ich sofort. Aber mir war nicht bewusst, dass sie aus diesem Musical sind. Ich bekomme selbst beim Schreiben noch immer ein leichte Gänsehaut. Es ist so vieles was ich sehen und hören durfte, wo ich mal wieder dasaß und nach dem Theaterabend überlegt, wie kann es eigentlich sein, dass so ein Stück einfach von der Bildfläche verschwunden ist, nicht mehr im Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit ist.
Wie kann es sein, dass es ein Stadttheater wie Gießen es schafft, ein solches Stück in die Gegenwart zu holen, und andere es einfach vergessen. Ich finde den Mut, den man da in unserem Stadttheater zeigt, herausragend. Ich habe auch gestern mit meiner Begleitung darüber gesprochen, was ich an diesem Stück kritisieren soll und kann. Mir ist auch im Nachgang nichts eingefallen. Es ist höchstens schade, dass es so lange brauchte, um die Melodien wieder auf die Bühne zu bringen. Aber vielleicht war die Zeit jetzt erst wieder reif für die Ironie des Stückes. Satire benötigt den passenden Bezug.
Dieses Theater schafft es, mit vereinten Kräften ein solches Projekt zu stemmen. Ich danke für diesen Mut und ich hoffe, dass die Vorstellungen alle richtig voll sind, denn dieses Stück hat es verdient, dass es jeder sieht. So bleibt mir nur eines zu kritisieren, nämlich die Menschen, die nicht hineingehen und tolle Menschen auf der Bühne sehen wollen zur Musik eines unvergessenen George Gershwin.