[Rezension] Mauerpogo – Sonja M. Schultz Als die Musik gefährlicher war als Bomben
Als die Musik gefährlicher war als Bomben
Klappentext:
Ein Buch wie ein Aufbruch, eine Liebeserklärung an das Laute, Wilde und wunderbar Kaputte
Ein Roman, der beim Lesen in den Händen vibriert
Eisenwerda, 1982. Jo ist vierzehn, steht kurz vor der Jugendweihe, der fürchterlich biedere Rock liegt schon bereit. Da fällt ihr das Foto einer jungen Londonerin in die Hände, das sie elektrisiert: Lederjacke, zerrissene Strumpfhose, wirre Frisur. Für Jo macht plötzlich alles Sinn. Sie färbt sich die Haare knallgrün – von nun an ist sie Punk. Sie gründet eine Band, verliebt sich in Ratte, die rasend schnell Schlagzeug spielt, und verbringt die Nächte Pogo tanzend im Pressluftschuppen. Doch von dieser Freiheit fühlen sich die Autoritäten bedroht. Bald gerät Jo ins Visier der Stasi. Es folgen Schikanen, Verhaftungen, Gewalt … Mit rotzigem Sound und kraftvollen Bildern erzählt »Mauerpogo« von Freundschaft, Wut und Rebellion. Eine Geschichte mit der Wucht eines Punkakkords.
»Wild, frech, atemlos.« Die Presse
Rezension:
Für mich als alter Pogo-Tänzer und Headbanger war alleine schon der Titel so was von anziehend, wie es nur wenige Buchtitel sein können. Zumal es lustig ist, dass beim Pogo selten was passiert, da man immer wieder auf sich und andere achtet, auch wenn es manchmal etwas rau und gefährlich aussieht. Genau das gleiche gilt für Punker im Allgemeinen. Sie sehen anders aus, bunter und manche auch ein wenig gefährlicher, aber wenn ich die Wahl habe mit Punkern zu feiern, mich mit ihnen zu umgeben oder mit komplett „normalen“ Menschen, dann bin ich doch eher bei den Punkern.
Als Jo ein Bild einer Punkerin gesehen hat und sie sich davon angesprochen fühlte, konnte ich dies vollkommen nachvollziehen. Ich habe mich in ihr wiedergefunden. Auch in mir gab es mal eine Zeit, da war ich in einer Poperklasse und nicht so richtig glücklich, auch wenn es keine schlechten Menschen waren. Als ich sitzen blieb und dann in einer Metaller-, Punker- und Rocker-Klasse landete, war ich wesentlich glücklicher.
Dass dieses anders auftretende für einen Staat wie die DDR in deren Augen gefährlich war, wird in dem Buch sehr schnell klar. Auch für die Familie von Jo ist es schwierig, als diese mit grünen Haaren zur Jugendweihe geht.
Was ich mich fragen würde, was ist eigentlich für den Staat der DDR gefährlicher? Wenn Menschen einfach andere Musik hören und sich anders kleiden? Oder wenn sie Westdeutsche Markenkleidung tragen? Warum wird das eine geduldet und das andere verteufelt?
Für mich war dieses Freizeitlager für die Jugendlichen im Sommer viel schlimmer. Manche Kinder wurden dort bei einem Ritual erniedrigt, wobei sie unter anderem Schlamm trinken mussten. Man kann jetzt sagen, Markus du warst bei den Pfadfindern, da gab es auch Lagerfreizeiten. Da muss ich sagen, das ist etwas völlig anderes. Es war nicht alles gut, aber es wurde nie eine gewisse Grenze überschritten. Man ist auch heute noch erfreut, wenn man sich sieht und lacht miteinander und ist auch 40 Jahre später noch befreundet. Lager ist nicht gleich Lager. Es kommt ganz stark auf die Menschen an.
Aber mit solchen Arschlöchern, die so ein Lager leiten, würde ich nicht befreundet sein wollen, weder jetzt noch früher und ich kann Jo verstehen, die sich da nicht wohl fühlte. Dort trifft sie aber ihre spätere Freundin „Ratte“, die sich von ihrer Familie lossagt und später in einem abbruchreifen Haus wohnt und dort Schlagzeug spielt.
Der Roman beschreibt auch die Freundschaft zu ihren Klassenkameraden Frankie, der sich selbst sucht, genauso wie Jo es macht. Als die beiden das erste Mal in einer geheimen Disco für Punker waren, merkt man, wie glücklich nicht nur Jo war, sondern auch Frankie, der sich dort einfach freier und glücklicher bewegen konnte. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, die beiden wachsen innerlich. Sie sind glücklicher.
Als sie später ihre eigene Punkband gründen werden sie noch glücklicher. Wobei man immer mehr merkt, wie die Familie darunter leidet. Denn der Staat sagt, dass die Eltern und die Familie daran schuld sind, dass sich Jo für Dinge interessiert, die in der DDR nicht gern gesehen werden. Somit bekommen die Mutter, der große Bruder und die kleine Schwester neben Jo immer häufiger auch Druck von der Stasi.
Es ist hart zu lesen, wie es war, als eine Kirche von der Polizei gestürmt wurde und die Menschen dort niedergeknüppelt wurden, nur weil sie für Frieden und für Spaß feiern wollten nicht mehr und nicht weniger. Man merkt immer mehr, wie der Staat die Daumenschrauben anzieht. Jo darf nicht weiter in die Schule, sondern muss in die Fabrik, um Strümpfe herzustellen. Es wird immer drastischer und der Spannungsbogen wird von Seite zu Seite bedrückender. Im Kontrast dazu steht die tiefe Freundschaft zwischen Jo ihrer Freundin Ratte und Frankie, die einfach wunderbar ist.
Für mich ist es ein Buch, welches zum einen Angst macht, was ist, wenn wir in einem totalitären Staat leben. Wenn wir nicht mehr jede Musik hören können oder jedes Buch lesen dürfen, das uns gefällt. Auch wenn Menschen nicht mehr lieben dürfen, wen sie lieben. Das ist doch traurig. Das macht doch das Mensch sein aus, dieses anders sein, dass nicht jeder gleich ist. Und das ist genau das, warum ich mit Menschen immer wieder auf die Straße gehen würde, wenn es notwendig ist, gerne auch mit Punkern oder einfach allgemein Andersdenkenden. Ich will nicht in einem Staat leben, in dem Menschen vorgeschrieben wird, was sie zu denken und zu tun haben, wie sie sich kleiden sollen oder was sie hören sollen. Ich habe am Schluss dieses Buchs einen richtig dicken Kloß im Hals gehabt, der sich nur langsam löste.
Frau Schultz kann einfach gut Situationen beschreiben und einen Spannungsbogen aufbauen, der sich über das ganze Buch erstreckt. Es steigert sich langsam und gipfelt in einem Ende, welches Hoffnung gibt und zugleich Angst macht. Ich bin mir auch Stunden später noch immer nicht sicher, was ich fühle. Nur eines ist klar, es sollte gelesen werden, damit wir mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Titel: Mauerpogo
Autor/In: Schultz, Sonja M.
ISBN: 978-3-351-05137-2
Verlag: Aufbau Verlag
Preis: 22,00€
Erscheinungsdatum: 13. August 2025
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Als die Musik gefährlicher war als Bomben
Eisenwerda, 1982. Jo ist vierzehn, steht kurz vor der Jugendweihe, der fürchterlich biedere Rock liegt schon bereit. Da fällt ihr das Foto einer jungen Londonerin in die Hände, das sie elektrisiert: Lederjacke, zerrissene Strumpfhose, wirre Frisur. Für Jo macht plötzlich alles Sinn. Sie färbt sich die Haare knallgrün – von nun an ist sie Punk. Sie gründet eine Band, verliebt sich in Ratte, die rasend schnell Schlagzeug spielt, und verbringt die Nächte Pogo tanzend im Pressluftschuppen. Doch von dieser Freiheit fühlen sich die Autoritäten bedroht. Bald gerät Jo ins Visier der Stasi. Es folgen Schikanen, Verhaftungen, Gewalt ... Mit rotzigem Sound und kraftvollen Bildern erzählt »Mauerpogo« von Freundschaft, Wut und Rebellion. Eine Geschichte mit der Wucht eines Punkakkords.
URL: https://literaturlounge.eu/2025/12/rezension-mauerpogo-sonja-m-schultz/
Autor: LiteraturLounge
Name: Mauerpogo
Autor: Sonja M. Schultz
ISBN: 978-3-351-05137-2
Veröffentlichungsdatum: 2025-08-13
Format: https://schema.org/Hardcover
