[Hörbuch] Gebt mir etwas Zeit – Hape Kerkeling, gelesen vom Autor
Klappentext:
Bewegend, ehrlich und urkomisch: die Fortsetzung von Hapes Lebensgeschichte
Hape Kerkeling in Bestform: In seinem neuen Hörbuch setzt er nicht nur entscheidende Etappen seines Lebens fort, sondern taucht tief in die bewegte Geschichte seiner Vorfahren ein. Berührend und mit unvergleichlichem Sinn für Komik erzählt er von seiner Kindheit in den Siebzigern und den Glanzzeiten der TV-Unterhaltung, von Liebe, Vorsehung und dem Goldenen Zeitalter der Niederlande. Er führt in die Anfänge seiner Fernsehkarriere und bis in die Frühzeit der Kerckrings, ins blühende Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Verwebt dabei lustvoll Erinnerungen mit Recherchen, eigenes Erleben mit Historie und Ahnenforschung. Und kommt schließlich auch hinter ein unglaubliches Geheimnis, das seine geliebte Großmutter Bertha zeit ihres Lebens umgab.
Rezension:
„Unser Omma kommt aus Tansania (…) somit ist jeder Rassist auch ein übler Omma-Hasser.“ Schöner als mit diesem leicht verkürzten Zitat von Hape Kerkeling kann man gar nicht sagen, was uns alle eint. Wir alle gehören zur Spezies Homo Sapiens – mal mehr, mal weniger. Es ist schon faszinierend wie dicht wir dabei immer noch am Schimpansen sind.
Irgendwann im Laufe der Zeit haben sich die Stammbäume dann weit verzweigt und es ist sehr spannend und amüsant, Hape Kerkeling bei der Reise in seinen persönlichen Stammbaum zu begleiten.
Er sagt direkt zu Beginn, dass nicht alles hundertprozentig der Realität entspricht. Dafür gibt es viele logische Gründe. Dialoge und präzise Handlungsabläufe im 17. Jahrhundert sind schlicht nicht belegbar, aber anhand von vorliegenden Fakten, kann man sich doch einiges vorstellen. Dies ist ja auch die Basis eines historischen Romans. Ein anderer Grund sind noch real lebende Personen, zu deren Schutz und Wahrung der Persönlichkeitsrechte Namen geändert und Gegebenheiten etwas umgestaltet werden. Dies finde ich gut und richtig und es tut dem Buch keinen Abbruch. Ich finde es macht es sogar noch etwas interessanter. Es bleibt ein gewisses Rätsel, was nun genau so passiert ist, oder doch nur fast. Es bleibt spannend.
Ich liebe historische Romane und so gefielen mir die Erzählungen aus dem Amsterdam des 17. Jahrhunderts sehr. Gerade wenn man eine Stadt schon einmal besucht hat, kann man diese Atmosphäre besonders gut spüren. Wenn man die Augen schließt und Hape Kerkeling zuhört, entsteht ein regelrechter Film vom gesellschaftlichen Leben in Amsterdam.
Auch die Erzählungen aus der neueren Geschichte sind fesselnd. Die böhmischen Bäder müssen Anfang des 20. Jahrhunderts wirklich schön gewesen sein. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich die High Society Europas dort getroffen hat. Der Unterschied zur normalen Bevölkerung muss enorm gewesen sein. Das erwähnte rosa Porzellan musste ich einfach googeln. Es sieht wirklich bildschön aus. Ja, vielleicht etwas kitschig, aber besonders.
Die Erzählungen vom Schüleraustausch haben mich total an meine Schulzeit erinnert. Ich habe selber Austausche nach Frankreich, England und Russland mitgemacht. Es war immer spannend. Auch wenn man sich schon vorher geschrieben hat, wusste man doch nicht so genau wie die Familie ist. Ich hatte immer Glück, auch wenn es nicht immer so war wie ich es mir vorgestellt hatte. Vielleicht denke ich auch ähnlich wie Hape Kerkeling. Man muss einfach reden und den Mut haben, sich auf eine neue Situation einzulassen.
Eine Zeitphase hat mich sehr berührt – die 80er Jahre. Es ist hochinteressant wie unterschiedlich man die gleiche Zeit wahrnimmt, wenn einen zehn Jahre Lebenserfahrung trennen. Ich kann mich an Klassenfahrten erinnern, in denen wir Kassetten mit Mitschnitten von Hannilein gehört und wahnsinnig viel gelacht haben. Auch an Känguru erinnere ich mich lachend. Umso bedrückender ist es, zu erfahren, wie emotional belastend Hape Kerkelings Leben war, während er so viele Menschen zum Lachen gebracht hat.
Ich habe die 80er als sehr offene Zeit erlebt. Mir war es egal, wenn es in der Bravo hieß irgendein Musiker oder Filmstar sei schwul. Na und? Dann ist es eben so. Jeder wie er mag. So bin ich aufgewachsen. Dass dies nicht überall so war, dämmerte mir schon, aber als Teenager konnte ich das Ausmaß der Diskriminierung nicht wirklich erfassen. Es ist mir auch heute noch unbegreiflich, warum die sexuelle Orientierung überhaupt ein Thema ist. Die Gefahr von Aids war auch in meiner Familie ein Thema, da meine Mutter Krankenschwester war und auch dort ein Infektionsrisiko bestand. Aber Stigmatisierung von Erkrankten und Panik war mir fremd. Für mein Teenie-Hirn war es damals „nur“ eine beschissene tödliche Krankheit wie Krebs. Ich habe scheinbar die Zeit als freier und toleranter wahrgenommen, als sie allgemein war. Ich finde diesen Teil sollte man sich ganz in Ruhe anhören und sich selber reflektieren. Ich kann mich noch erinnern, wie es in der Presse einen Aufschrei gab, als Hape Kerkeling 1991 von Rosa von Praunheim geoutet wurde. Es hatte mich irgendwie nicht überrascht, aber im Grunde war es mir einfach egal. Ich mochte seine Sketche und Figuren, lachte mich scheckig über seinen Auftritt als Königin Beatrix, und Hurz war einfach unbeschreiblich. Mit wem er eine Beziehung hatte war für mich unwichtig. Wenn er glücklich damit ist, bitte. Hape Kerkeling erzählt über sein Leben in den 80ern sowohl sachlich als auch emotional, lustig, aber auch ergreifend. Diese ganz besondere Mischung hat mich extrem berührt und einen kleinen Einblick in eine andere Realität gewährt.
Er wandert nicht linear durch seine Ahnenreihe, sondern springt durch die Zeiten. Im ersten Moment hat mich das etwas verwirrt, aber es passt einfach. Es ist auch nicht schwer, den Sprüngen zu folgen. Selbst wenn man eine größere Pause einlegen muss, kommt man sehr leicht wieder rein.
Wie kommt man eigentlich darauf, seine Familiengeschichte zu recherchieren. Ich sehe da zwei Faktoren: Neugier und Langeweile. Klingt auf den ersten Blick etwas negativ, aber durch Corona stand dem Autor wie er selbst sagt mehr Zeit zur Verfügung und diese benötigt man auch, wenn man den Stammbaum recherchieren will. Schon nach nur zehn Generationen, das sind rund 250 Jahre, kommt man auf gut 1024 direkte Ahnen. Oft fehlen Namen und Unterlagen der Vorfahren. Gerade durch Flucht und Vertreibung nach den beiden Weltkriegen sind viele Unterlagen verloren gegangen. Manches wollten Eltern und Großeltern auch nicht vollumfänglich erzählen. Gründe gibt es viele. Solch ein Projekt erfordert definitiv viel Zeit. Mich hat das Buch dazu inspiriert, meine eigene Familiengeschichte mal etwas näher unter die Lupe zu nehmen und die Schwierigkeiten fangen schon bei den Großeltern an, die nicht mehr leben. Die Völkerwanderungen der Vergangenheit machen es nicht leichter. Durch die zentrale Lage hat das heutige Deutschland schon immer viel Bewegung erlebt. Migration in alle Richtungen war hier schon immer ein Thema und ich finde, Hape Kerkeling hat dies sehr schön zusammengefasst: „Jeder, der mitwill, kooperativ ist und kein unnötiges Theater macht gehört dazu.“ Wenn wir alle etwas mehr in diese Richtung dächten, Zugezogene sowie bereits Einheimische, wäre einiges entspannter.
Das Buch ist mit sehr viel Wärme und Emotion geschrieben. Es ist sehr persönlich und berührend. Die Frage aller Fragen: Lesen oder hören? Aus meiner Sicht, ganz klar hören! Hape Kerkeling liest einfach phantastisch, eigentlich trägt er es vor, wie ein Theaterstück. Wenn ich an einzelne Passagen denke, höre ich seine Stimme und genau so muss es klingen. Er rundet den Text durch die Sprache ab. Bücher sind toll, aber dieses möchte ich nur vom Autor selbst vorgelesen bekommen.
Titel: Gebt mir etwas Zeit
Autor/in: Kerkeling, Hape
Sprecher/in: Kerkeling, Hape
Laufzeit: 648 min.
ISBN: 978-3-86952-615-7
Verlag: Osterwoldaudio
Preis: 24,00 €
Erscheinungsdatum: 25. September 2024