Ich, Ich, Ich

[Oper] Narzissmus auf der Bühne: ‚Ich, Ich, Ich‘ ist ein Muss!

Oper in Gießen und zwar diesmal „Ich, Ich, Ich“ eine Uraufführung in Deutsch. Eigentlich gehe ich ja immer gerne in die Premieren, diesmal war ich aber persönlich verhindert und wie das so ist, dann kommt immer wieder das nächste dazwischen. Somit war ich nun zwischen den Jahren endlich in der Oper.

Und es war voll! Das habe ich schon bei der Einführung gemerkt, die wieder Christian Förnzler gemacht hat. Diesmal war er irgendwie lockerer. Ich habe ihm gerne zugehört, als er die vielfältigen Rollen bei dieser vier Personen Oper erläuterte. Das Umziehen stellt hier eine besondere Herausforderung dar. Auch die Musikbeispiele, die er angespielt hat, haben Lust auf mehr gemacht. Er hat ebenso die Komponistin vorgestellt. Es war inhaltlich auf den Punkt gebracht.

Also ab in die Oper. Es sind ja nur 90 Minuten. Direkt am Anfang waren die vier Sänger und Sängerinnen schwarz gekleidet auf der Bühne. Von Anfang an war die Musik so positiv, locker und unbeschwert, dazu die Tanzeinlagen und dann kam schon das erste Highlight.

Annika Gerhards zog sich rasch hinter einem Tuch als Katze um. Ganz ehrlich, dieses Miau und tanzen dazu von ihr, so katzenhaft, war schon ein Erlebnis. Dieses Gesamtgefüge mit der Musik war einfach hervorragend. Es hatte etwas Komisches, aber auch Würdevolles. Da war ich schon hin und weg.

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    Copyright: Christian Schuller

Klothilde ist die Hauptfigur des Stückes und wird von Polina Artsis gesungen. Sie ist immer wieder ein freudiges Erlebnis, welches in meinem Bekanntenkreis immer wieder als „die Pflanze in Xerxes“ mit einem wohligen Seufzer und einem Leuchten in den Augen erwähnt wird. Diesmal ist es einfach genial, wie sie beim Psychiater ist und sich mit Dr. Giovanni Tempesta, gesungen von Tomi Wendt, über die Probleme des Tages unterhält. Genauso phantastisch sind da der Promi-Künstler und der ungebildete Poser, die von Ferdinand Keller gegeben werden. Auch die Erfolgsbloggerin die Annika Gerhards darstellt ist aus dem Leben gegriffen. Genau solche Blogger, Poser oder Promi-Künstler sind mir im Laufe meines Internetdaseins über die Füße gelaufen. Es sind so die kleinen Pointen, die dieses Stück immer wieder besonders machen.

Als Klothilde erzählt, dass ihr Kater verstorben ist, und dass ihr Freund der Musiker immer nur zu bestimmten Tagen und Uhrzeiten Zeit hat, war schon klar in welche Richtung das geht. Da musste man nicht sehen, was da passierte, man hat es gehört und alles andere hat man an der Mimik von Klothilde und dem Liftboy einfach ablesen können. Wenn ich mir einen Liftboy vorstelle, dann ist es genau so einer, wie ihn Ferdinand Keller spielt. Diese Mimik der Darsteller war immer wieder grandios.

Dass dann der Freund von Klothilde beim Sex gestorben ist, geschenkt, aber diese Beerdigung war einfach skurril. Wäre es keine Oper gewesen, ich glaube, in der Situation wären alle Dämme gebrochen. Ich wusste nicht mehr, wie ich damit umgehen sollte. Ich hätte am liebsten schallend losgelacht. Den Zuschauern neben mir ging es ähnlich. Hätte man vorab gesagt, es ist eine Komödie oder wäre man im Kino gewesen, die Leute hätten sich nicht mehr eingekriegt vor Lachen. Diese kleine Situationskomik, diese Überspitzung, machten das Ganze einfach grandios.

Dann noch mal schnell bei einem Guru für die ganzheitliche Therapie mit Gong reingeschaut, mit Atemtechniken und was sonst noch alles zum Detoxing dazu gehört. Nicht alles, dass die Räucherkerzen noch im ganzen Theater brannten.

Und auch da gab es wieder so kleinen feinen lustigen Momente. Solche Momente, die man selbst schon mal erlebt hat, vielleicht nicht bei so einem Wochenendseminar, sondern vielleicht auch beim Schulsport etc.

Die Musik ist leicht und locker, die Sprache im hier und jetzt. Es wird gesungen, gesprochen, gespielt und dies alles so locker, und gerade das macht es aus. Ich bin mir noch nicht mal sicher, wer mich am meisten begeistert hat. War es Polina Artsis, oder doch vielleicht die manchmal etwas graziler wirkende Annika Gerhards? Oder bei den Männern Ferdinand Keller mit den verschiedenen Gesichtern und Kostümen, oder Tomi Wendt in der Rolle des Psychiaters oder des Zen-Gurus?

Was da auf der Bühne abgelaufen ist, war einfach nahe an der Perfektion und ich hatte echt Angst, wie das mit der Neuen klassischen Musik so ist. Die ist mir manchmal etwas zu schwer, doch diesmal war es ganz anders. Wir wollen einfach alle mal Spaß haben, den Spiegel vorgehalten bekommen. Alles muss ein wenig überspitzt sein, so wie im Kabarett. Ein wenig politisch unkorrekt kann man auch mal sein. Das Stück zeigte mir mal wieder, dass man nicht unbedingt immer total ernst sein muss, sondern auch über sich selbst mal wieder lachen sollte. Wir haben verlernt, uns mal selbst auf die Schippe zu nehmen. Wir alle wollen immer perfekt sein, denn nur wir sind perfekt und die anderen sind… – ach was soll man sagen? Die können einem doch nicht das Wasser reichen. Wir sind teilweise lauter Narzissten.

Es ist eine Oper, die doch etwas operettenhaft daherkommt, da auch viel gesprochen wird. Es gibt immer wieder Situationen, in denen man einfach loslachen möchte. Dazu die Musik, die aus dem Orchestergraben kommt und man hat einfach das Rundum-sorglos-Paket des gelungenen Abends.

Komme ich nun zu dem wer am besten gefallen hat. Die Besetzung war perfekt ausgewählt. Ich könnte jede Person herauspicken, Polina Artsis weil sie einfach nur gut ist und ich mich schon wieder höre: „hach, die Polina Artsis“, und leuchtende Augen bekomme. Bei Annika Gerhards bin ich schon länger auf der Welle, ich find sie einfach nur gut. Und Ferdinand Keller hat mir ja schon bei Arabella gefallen.

Aber wer mich in letzter Zeit immer wieder nicht so begeistert hat, war Tomi Wendt es hat immer irgendwas gefehlt. Jedoch bei dieser Aufführung habe ich ihn erlebt wie noch nie. Einfach ein toller Sänger und Schauspieler! Wo hat dieser Mann in den letzten Jahren seine Stimme und Ausstrahlung versteckt? Gut, in „Mitislaw der Moderne“ war er schon gut. Aber bei „Ich, Ich, Ich“ war er an der Seite von Polina Artsis einfach präsent.

Ich kann nur sagen, jeder in Gießen und Hessen sollte diese Aufführung sehen. Wenn ihr zufällig in Hessen seid, am besten in der Ecke von Gießen, werft mal einen Blick in diese Aufführung. Ihr werdet mit einem guten Gefühl aus dem Theater gehen und euch vielleicht ein wenig hinterfragen. Ich habe jedoch heute Abend nur lachende Gesichter im Stadttheater gesehen. Dies ist so wichtig und passiert leider viel zu selten, dass jeder ein gutes Gefühl hat, egal ob alt oder jung.

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    Copyright: Christian Schuller

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