[Interview] mit Stefanie vor Schulte über das Buch: Schlangen im Garten
1. Sie erhielten im Januar 2022 für Ihr Buch Junge mit schwarzem Hahn, in dem sich Martin in steter Begleitung des Tiers Tyrannen, Armut und dem Schlechten in der Welt widersetzt, die höchstdotierte Literaturauszeichnung für ein deutschsprachiges Debüt, den Mara-Cassens-Preis. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Stefanie vor Schulte: Meine Dankbarkeit, aber auch dieses tiefe Gefühl der Erleichterung, lässt sich nicht oft genug betonen. Das empfinde ich sowohl der Leser:innenjury des Mara-Cassens-Preises gegenüber als natürlich auch dem Diogenes Verlag. Die schönsten Momente sind nicht Preisverleihung oder Lesung, sondern die beruhigende Gewissheit, einfach weiterschreiben zu dürfen.
2. Nur ein Jahr nach Ihrem Erstling legen Sie schon den zweiten Roman vor. Ist es Ihnen mittlerweile eine innere Notwendigkeit zu schreiben? Und schwirrten die jetzigen Figuren und Erzählstränge schon lange in Ihrem Kopf?
Stefanie vor Schulte: Es ist mir nicht mittlerweile, sondern seit jeher eine innere Notwendigkeit zu schreiben. Ohne die hätte ich wohl kaum all die Jahre durchgehalten, in denen es noch nicht diese wunderbare Resonanz auf mein Schreiben gab. Nicht zu schreiben ist immer der schlechtere Zustand.
Den Figuren für diesen Roman begegnete ich während des ersten Lock-Downs. Junge mit schwarzem Hahn war zwar fertig, aber es war schwierig, den Roman anzubieten. Keiner wusste, wie sich die Buchbranche entwickeln würde. Meine Agentin hielt das Manuskript zurück und empfahl, einfach weiterzuarbeiten. Es gab also eine gewisse Leere und Unbedarftheit, ob der erste Roman verlegt werden und wenn, wie er ankommen würde. Im Grunde hatte sich für mich also gar nichts verändert.
Ich schrieb, sobald ich das richtige Gefühl gefunden hatte. Ein Gefühl, aufgrund dessen wieder Bilder in den Ecken standen und ich nicht anders konnte, als die Geschichte zu den Bildern wissen zu wollen.
3. Schlangen im Garten spielt nun in der Gegenwart und im Kreis einer Familie. Eine beabsichtigte Entscheidung, als eine Art Abgrenzung zu Ihrem Debüt, oder einfach die Lust, etwas Neues auszuprobieren?
Stefanie vor Schulte: Mir ist natürlich der Druck bewusst, der auf dem Schreiben des zweiten Buches lastet. Es wird verglichen und bewertet. Weil ich aber beim Schreiben der Schlangen nicht wusste, ob und wie mein erster Roman ankommen würde, war ich in der Wahl meines zweiten Themas frei. Ich konstruiere nicht am Reißbrett. Aber ich hatte selbstverständlich Lust auf andere Figuren, ein anderes Setting. Doch wie immer wuchs das Gefühl um die Absicht herum, und also mögen hier zwei Geschichten aufeinanderfolgen, die vielleicht thematisch unterschiedlich anmuten, aber für mich etwas sehr Gemeinsames haben. Eine Haltung möglicherweise.
4. Welche Haltung?
Stefanie vor Schulte: Was ist wahr und was ist echt. Was ist der eigentliche Wert, auch wenn die Wege dorthin verwirrend sind und die Gefühle ins Stolpern geraten. Was ist es, wenn alle Geschichten enden.
5. »Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe.« So beginnt Ihr Roman und zeigt sogleich die großen Themen Verlust, Trauerarbeit, aber auch Liebe und Vertrauen. Wie kamen Sie darauf, und welche Gefühle mochten Sie beim Schreiben vermitteln?
Stefanie vor Schulte: Sind das nicht die Zutaten für Melancholie?
Was geschieht, wenn man sich in seinen Gefühlen nicht mehr auskennt? Wenn einem die gutgemeinten Ratschläge, zumindest die Ratschläge, die bei allen anderen funktionieren, nicht mehr helfen? Wenn man zerfällt?
Im Übrigen bin ich mit jedem Gefühl einverstanden, das die Leser:innen bei der Lektüre empfinden.
6. Beide Bücher einen die fantasievollen Einfälle und die überaus poetische Sprache – Sätze voller Weisheit, sodass man innehalten muss. Woher nehmen Sie diese Fantasie, und dienen die magischen Elemente als Stilmittel der Verdeutlichung?
Stefanie vor Schulte: Der magische Realismus ist für meine Figuren eine Chance, die wir nicht haben.
Fantasie wiederum ist mir geschenkt, aber auch sie muss genährt werden, wie jedes andere Stilmittel auch.
(c) Diogenes Verlag 2022 Ein Interview von Kerstin Beaujean