[Rezension] Im Schnee – Tommie Goerz
Klappentext:
Von der Schönheit und der Härte des einfachen Lebens, von der Gnade der Freundschaft und dem Moment des Verlusts
Der alte Max hat alle Zeit. Draußen vor dem Fenster legt sich der Schnee wie eine Decke über das Dorf. Da dringt das Läuten des Totenglöckchens durch die Stille. Es schlägt für den Schorsch, der viel mehr war als nur ein Freund, ein Leben lang. So macht sich Max am Abend auf zur Totenwacht, wo die Alten zusammenkommen, um des Verstorbenen zu gedenken und sich zu erinnern.
Eine ganze Nacht erzählen sie von den Freuden bei der Ernte, von Abenden in der Wirtsstube, vom kleinen Glück. Und vom Schorsch. Aber auch von der Enge im Dorf und dem eisigen Schweigen. Erst im Morgengrauen kehrt der Max heim. Im Licht des neuen Tages ist ihm klar: Nichts davon wird wiederkommen. Nur die Erinnerungen an dieses Leben bleiben, solange er da ist…
Rezension:
Das Erste, was ich gerade eben gemacht habe war, ich habe mal nachgesehen, ob es Austhal gibt. Und nein, es ist ein fiktives Dorf, in das uns Tommie Goerz entführt. Warum ich dies nicht gleich gemacht habe? Weil mich das Dorf einfach nicht losgelassen hat und ich, wenn ich ein Kapitel gelesen habe, es wieder vergessen hatte nachzuschauen, und so mittendrin aufhören und sich an den PC oder Smartphone setzen und nachzuschauen, das stört doch die ganze Atmosphäre.
Der Autor nimmt uns mit in ein mittelgroßes Dorf in der Oberpfalz. Wobei dieses Dorf einen Bahnanschluss hat und zumindest mal eine Schule hatte. Ich habe Dörfer in der Oberpfalz gesehen und geliebt, die hatten 80 oder weniger Einwohner.
Ich selbst komme ja auch aus einem Dorf. Zu meiner Kindheit lebten da 1600 – 1800 Einwohner. Aber egal, wir erleben also ein Dorf in der Oberpfalz und wir lernen Max kennen, der eines Abends die Totenglocke hört. Ich finde es interessant, dass die Totenglocke auch in diesem Ort einen Namen hat.
Max hört also die Totenglocke und irgendwie weiß er sofort, dass sein bester Freund verstorben ist.
Es ist sofort spürbar, dass Max und Schorsch eine besondere Freundschaft gepflegt haben, in der man sich auch im Schweigen verstanden hat. Wobei Max schon ein eher stiller Mitmensch ist, der seinen Gedanken gerne nachfühlt und sich so seine Gedanken um das Dorf und seine Mitmenschen macht. Er liebt seine alten Apfelbäume genauso wie er sein Dorf liebt.
Wobei das Dorf wie jedes Dorf so seine Geheimnisse hat. Die lernt man so ganz nebenbei kennen. Besonders interessant ist die Totenwacht, wo man vieles über die Menschen im Dorf und ihr Selbstverständnis erfährt. Das mit dem Unterschied zwischen Neubürger, also Zugezogener, und einer alteingesessenen Familie ist auch immer wieder spürbar. Und ja, diese Abstufungen gibt es auch heute noch zwischen einer alteingesessenen Familie und den Neubürgern. Das Haus, in dem ich die meiste Zeit meiner Kindheit gelebt habe, steht im Neubaugebiet und dies seit Anfang der 70er Jahre. Jedes Dorf hat auch so seine Geheimnisse, die jeder kennt, aber niemand ausspricht.
Und nach außen hin gibt es immer eine Fassade, die man aufrechterhält und wenn man sein ganzes Leben dort verbracht hat, dann lernt man, dass so ein Dorf eigene Gesetze hat. Da gibt es vielleicht ein Kind welches eingesperrt wurde, weil es rote Haare hatte. Da gibt es Gemauschel wie die Vergabe von Neubaugebieten. Da wird auch mal eine leerstehende Schule abgerissen, nur damit keine neuen in das Dorf kommen. In diesem Buch lernt man solche Dinge kennen, wie es sicherlich immer wieder passiert ist und sicher noch in vielen Dörfern, Gemeinden und Städten passiert. In diesem Fall legt sich neben dem Schweigen des Dorfes und verstecken der Geheimnisse noch der Schnee auf das Dorf. Jeder kennt das, der schon mal Schnee erlebt hat. Es wird ruhiger und schöner. So ein schneebedecktes Stück Land oder Dorf sieht ruhig aus, beschaulich wie auf einer Postkarte. Wie es unter dieser Schneedecke aussieht? Dies erfährt man eher weniger.
Dieses Buch zeigt aber nicht nur die Schattenseiten, sondern auch eine tiefe Freundschaft zwischen den Menschen, vor allem zwischen dem Schorsch und Max. Es ist ein Stück Literatur in einem dünnen Buch, welches so etwas Wohliges hat wie eine Tasse Tee nach dem Spaziergang oder der Arbeit auf dem Feld oder Wald mitten im Winter. Es ist für mich eine Beschreibung einer Totenwacht wie es sie sicherlich nicht mehr so oft gibt, die aber etwas Besonderes hat, eine besondere Art des Abschiedes von den Freunden und der Familie.
Es geht aber auch um eine tiefe Freundschaft zwischen den Bewohnern und man bekommt das Gefühl, dass etwas langsam vergeht. Da gibt es aber auch noch neben den Bewohnern des Dorfes noch einen Fotografen, der das Leben von Max noch mal schnell mit dem Fotoapparat aufnimmt, der aber wie so oft nur die Oberfläche ankratzt mit seinen Fotos von Max oder dem Dorf.
Dieses Buch von Tommie Goerz nimmt nicht wie eine Fotografie die Oberfläche auf, sondern diese etwas über 170 Seiten haben eine besondere Wärme und Tiefe. Es ist wie bei der Trauer und dem Schnee etwas gedämpft. Dieses Buch ergreift das Herz und es wirkt einfach nach. Genau das muss in meinen Augen Literatur machen, einen ergreifen, mitnehmen und nachwirken. Tommie Goerz hat in meinen Augen genau eine solche Perle geschrieben.
Titel: Im Schnee
Autor/In: Goerz, Tommie
Verlag: Piper Verlag
ISBN: 978-3-492-07348-6
Preis: 22,00 €
Erscheinungsdatum: 10. Januar 2025