[Rezension] Lorenz – Ilona Jerger
Klappentext:
Ein Forscherleben als Spiegel des 20. Jahrhunderts
Die einfühlsam erzählte Geschichte eines spannungsreichen Lebens: Konrad Lorenz begründete die Tierpsychologie, wurde als Verhaltensforscher berühmt und erhielt 1973 den Nobelpreis. Die Kontinuität seiner biologistischen Auffassungen trug ihm heftige Kritik ein. Ilona Jerger erfindet eine Erzählerin, die mit seinen Büchern aufgewachsen ist und Biologin wurde. Sie vertieft sich in sein Leben und Werk. Je mehr sie erfährt, desto größer wird ihre Faszination – und desto zahlreicher werden die Fragen. Sie erzählt ein Leben, in dem es um die Liebe zu den Tieren geht, von der Graugans Martina bis zu den Bibern. Um die Frage, wie der Krieg in die Welt kam und was ihn begründet. Und um Familie und Karriere und das Überleben, sowohl der Arten als auch der Menschheit. Ein großer Zeitroman, in dem die Errungenschaften und Abgründe des 20. Jahrhunderts aufscheinen.
Spannungsvoll, anrührend und lehrreich – ein fesselnder Roman!
„Ilona Jerger bewältigt nicht nur viel Ideengeschichte der beiden großen Denker des 19. Jahrhunderts, ihr Roman ist nebenbei auch kühn und souverän geschrieben – und gut zu lesen.“ NDR Kultur über den Bestseller „Und Marx stand still in Darwins Garten“
Rezension:
Als ich das Buch anfing und darüber das erste Mal geredet habe, kam immer wieder: Das ist doch der mit den Gänsen, oder? Das ist ungefähr genauso, wie mich manche Autoren beim ersten Gespräch am Telefon fragen, wie viele Vögel ich habe. Ganz einfach, vier Wellensittiche und manchmal sind sie laut und manchmal sind sie leise. Manchmal schauen sie mich mit der Schwanzfeder nicht an und manchmal müssen sie sich, oder zumindest einer, in die Videokonferenz drängeln. Was bei Konrad Lorenz wohl die Graugans Martina war, ist bei mir mein Wellensittich Joggi.
So viel von den Gemeinsamkeiten fürs erste. Die Sprache in dem Buch finde ich sehr anregend und sie brachte mich des Öfteren zum Schmunzeln oder Lachen. Da ist der Vater, Adolf Lorenz, ein angesehener Arzt, der als Orthopäde wegen seiner Behandlung von angeborenen Hüfterkrankungen berühmt war. Sie waren unblutig und wohl auch sehr erfolgreich, zumindest hat er sich sogar in Amerika einen Namen gemacht und war dementsprechend reich und hat dies auch in seiner Villa zur Schau gestellt. In Konrad Lorenz Mutter habe ich mich gleich verliebt, denn sie hatte einen besonderen Humor. Man stelle sich vor, eine Mutter wirft eine Babywiege aus dem Fenster mit einer lebensgroßen Puppe darin und der Vater denkt, die Frau werfe seinen Sohn aus dem Fenster. Dass Adolf Lorenz sich dabei auch noch verletzt, macht es noch skurriler. Aber diese Art von Humor bei einem Mann, der nicht gerade sehr herzerwärmend war, konnte ich mir echt nicht vorstellen. Kann aber wohl so gewesen sein, ist allerdings schon besonders. Dass er für die Zwangssterilisierung war und Frühchen bis zum siebten Monat mal eben töten wollte und sich so doch sehr in der Nähe der Nazis positionierte, ergänzt das Bild der Persönlichkeit von Adolf Lorenz.
Er war auch mit der späteren Berufswahl seines Sohnes Konrad, der irgendwas mit Gänsen machen wollte, nicht einverstanden, wie man kann sich wohl denken. Dass dieser dann auch noch damit den Nobelpreis gewonnen hat, der dem Vater nicht vergönnt war, da kann man nur sagen, Gott Sei Dank. Der Vater hat dies allerdings nicht mehr mitbekommen. Er hätte sich vermutlich schwarzgeärgert.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Konrad Lorenz dank der Nazis dann in Königsberg zum Professor aufstieg und erbbiologische Studien durchgeführt hat. Er lag in seiner Sprache doch teilweise sehr nahe am Stil der Nazis. Ganz ehrlich, ich hatte mit dieser Zeit so meine Probleme. Ich konnte auf einmal Konrad Lorenz nicht mehr richtig fassen. Auf der einen Seite ist er ein Tier- und Naturfreund und auf der anderen Seite dient er sich der rechten Ideologie an. Es liest sich schon eigenartig, dass er es nicht völlig begriffen habe, was seinem Kinder- und Jugendfreund, der als Jude nach Holland geflüchtet ist und dann doch noch deportiert wurde, bevorstand. Es fällt schwer zu glauben, dass er so blauäugig war. Dieser Zwiespalt seiner Person wird von der Autorin gut dargestellt.
In der russischen Gefangenschaft erkennt er dann, dass das was die Nazis über „den Russen“ und vor allem über die russischen Frauen gesagt hatten, nicht stimmt. Er hat während der Gefangenschaft seine biologischen Kenntnisse und seine Ausbildung als Arzt für die Gefangenen und auch für die „Feinde“ eingesetzt. Dies erleichterte ihm einiges. Er zähmt nebenbei auch noch Vögel. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass ihm die Tiere näher waren, als die Menschen, außer wenn sie seiner Hilfe bedurften. Wenn man in Not war, wollte man ihn wohl gern in seiner Nähe haben.
Nebenbei lernt man noch einiges über die Philosophen Martin Heidegger oder Edmund Husserl. Man könnte meinen, der Roman sei doch sehr überladen, aber die Autorin schafft es, einen immer mehr zu fesseln. Man begreift durch die Personen und Tiere das Umfeld von Konrad Lorenz viel besser. Er war viel mehr, als nur der Mann mit den Gänsen. Er hatte seine Schattenseiten, aber wo Schatten ist, ist auch immer wieder Licht, genauso wie umgekehrt. Seine Einstellungen als dem Zeitgeist entsprechend zu bezeichnen finde ich falsch, aber ihn zu verteufeln, oder ihn gar teilweise zu löschen, ist auch nicht der richtige Weg. Ich finde Ilona Jerger findet genau den richtigen Ton in diesem Buch. Es macht einen nachdenklich, teilweise fassungslos, aber man versteht das warum und wieso viel besser. Es ist kein Sachbuch, sondern einfach gute Literatur, wo man einiges lernt, wo man schmunzelt, aber auch nachdenkt. Man spürt immer wieder die Liebe von Konrad Lorenz zu seiner Frau, die wohl eine ganz besondere Person war.
Und ja, vielleicht ist das was Konrad Lorenz erforscht hat mittlerweile überholt, aber er hat uns die Tiere näher gebracht. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie es ist morgens aufzustehen und ohne zwitschern wach zu werden. Ja es ist etwas Anderes in eine Wohnung zu kommen, wo ein Tier ist, vor allem, wenn man alleine lebt. Und auch dies hat Konrad Lorenz schon erkannt. Er war allerdings der Meinung, dass man sich in der Stadt besser Fische halten sollte. Ich finde, in einer kleinen Wohnung gehen auch Vögel, es sollte nur keine Graugans sein.
Für mich ist es auf Grund des Inhaltes und der Sprache eines des Bücher, welches man unbedingt lesen sollte. Man lernt so vieles und versteht dadurch vielleicht auch einen streitbaren Charakter, wie Konrad Lorenz, besser. Vielleicht sieht man dadurch auch die Natur mit anderen Augen und damit meine ich auch Fische, Biber, Graugänse, Molche und was sonst noch alles kreucht und fleucht. Lasst uns die Tiere doch einfach gut behandeln, so wie es wohl auch Konrad Lorenz meistens getan hat. Ich wünsche mir noch viele solcher Bücher über Menschen, die man vielleicht aus den Augen verloren hat und die ähnlich streitbar sind wie Konrad Lorenz.
Titel: Lorenz
Autor/In: Jerger, Ilona
Verlag: Piper Verlag
ISBN: 978-3-492-07253-3
Preis: 24,00 €
Erscheinungsdatum: 2. November 2023